■ Die SPD übt das Rollenspiel: Neue Gewaltenteilung
Die SPD liebt dehn- und deutbare Formelkompromisse. So lesen sich auch die Beschlüsse, mit denen der Landesausschuß, das höchste SPD-Gremium zwischen den Parteitagen, am Montag abend den Konflikt zwischen Partei und Fraktion entschärfte. Hinter den wolkigen Sätzen zum Landesschulamt oder zur Privatisierung des SEZ lugt jedoch unübersehbar die Emanzipation der Abgeordnetenhausfraktion gegenüber der Partei hervor. Man ist nicht gewillt, sich reinreden zu lassen und das mit der CDU mühsam abgestimmte Haushaltspaket wiederaufzuschnüren, mögen Parteitage noch so radikale Änderungswünsche haben.
Streitbarer gegenüber der Partei zu sein, diesen Kurs hat der neue Fraktionschef Klaus Böger sofort nach Amtsantritt signalisiert. Der zurückgetretene Fraktions- und Landesvorsitzende Ditmar Staffelt verbrauchte sich dagegen bis zur Bewegungsunfähigkeit bei der unlösbaren Aufgabe, die auseinanderstrebenden Interessen zu versöhnen. Böger und der amtierende Landesvorsitzende Dzembritzki dagegen praktizieren eine Gewaltenteilung und gewinnen mit diesem augenzwinkernden Stillhaltepakt neuen Handlungsspielraum. Realitäten schaffen ist Aufgabe der Fraktion, Illusionen zu päppeln und Unliebsames für die sozialdemokratische Seele in Watte zu verpacken bleibt dem Parteichef überlassen. Mit innerparteilicher Demokratie hat die neue Unübersichtlichkeit wenig zu tun. Die Rollenverteilung schafft jedoch dem Spitzenkandidaten für die Wahl im Herbst 1995 Platz, sich programmatisch zu produzieren, ohne in das kleinteilige Geschäft der Großen Koalition eingebunden zu sein. Eberhard Diepgen, schwer tragend an der doppelten Bürde des CDU-Landesvorsitzenden und Regierenden Bürgermeisters, wird es mit Sorge beobachten. Gerd Nowakowski
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