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Nach mir die Müllflut Von Andrea Böhm

Neulich, auf dem Flughafen von Chicago, war es wieder da – dieses unwiderstehliche Verlangen nach einer Portion Sushi und, zum Dessert, einem Cappuccino mit Mandelcroissant. Um althergebrachte Vorurteile über die vermeintliche kulinarische Monokultur in den USA gleich vorab zu beseitigen: Es gibt Sushi, Cappuccino und Mandelcroissants – auch auf dem Flughafen in Chicago. Sie eignen sich auch zum Verzehr. Will sagen: Sie schmecken gut. Das Problem besteht vielmehr in der Verpackung.

Nachdem der letzte Krümel verspeist und der letzte Tropfen getrunken ist, steht der Fluggast mit einem halben Kubikmeter Styropor-, Dosen- und Plastikabfall – durch Ketchup-, Soja oder Frittenreste farblich aufgelockert – ratlos in der Airport-Snack-Zentrale herum, bis er einen der großen Mülleimer gewahr wird, auf denen immer „Thank You“ steht. Gedankt wird nicht für den Nahrungskonsum, sondern für den individuellen Akt des Wegschmeißens. Rein mit dem Zeug, ab in den Flieger. Nach mir die Müllflut.

Ähnliches spielt sich tagtäglich in Millionen von Büros und Schulen, Restaurants und Fast-food- Futterstellen, in den Apartments der Reichen und Mietshäusern der Armen ab. Man ißt den Lunch aus dem Styroporkarton, trinkt die Cola aus der Dose und den Kaffee aus dem Plastikbecher. Hinzu kommt tonnenweise Papiermüll. Die Sonntagsausgabe der New York Times allein wiegt über ein Kilo – und nirgendwo werden pro Kopf so viele Werbesprospekte versandt wie in den USA. Mir blieb in der Eile keine Zeit mehr, Genaueres über die Müllentsorgung auf dem Houstoner Flughafen zu erfahren. Auf meine Nachfrage, was denn mit den von mir weggeschmissenen Essensutensilien passiert, erklärte der Manager des Sushi-Imbisses nur verdattert: „Die werden weggeschmissen.“

Sollen sie sich in Chicago ein Beispiel an New York nehmen, das zwar nicht mehr den höchsten Wolkenkratzer der Welt beherbergt, dafür aber die größte Mülldeponie. 1,5 Kilo Hausmüll produziert jeder New Yorker pro Tag. Rund 9.000 Tonnen werden täglich auf die städtische Mülldeponie mit dem aparten Namen „Fresh Kills“ geschüttet – und die ist bald voll. Der Bau einer Verbrennungsanlage würde einen mittelschweren Aufstand der Bevölkerung nach sich ziehen. Das einst beliebte Dumping von Müll im Ozean haben die Gerichte inzwischen verboten. Also wurde das neue Zauberwort verkündet: Recycling.

Seitdem werden zwischen Broadway und Bronx Dosen gestapelt, Zeitungspapier verschnürt, Flaschen gesammelt, Plastik getrennt. Wer seinen Müll weiterhin zusammenschmeißt, riskiert einen Strafzettel der Recycling-Polizei – aber nur, wenn er in Manhattan oder der Bronx wohnt. Für die anderen Stadtteile kann sich New York derzeit keine Umweltpatrouillen leisten. Das Problem: Was New York an Müll zuviel hat, hat es an Geld zuwenig, weswegen Bürgermeister Rudolph Giuliani nicht nur bei der Recycling-Polizei, sondern auch bei der diversifizierten Müllabfuhr Kahlschlag plant. Unter haushaltspolitischen Gesichtspunkten mag das zwingend erscheinen, müllpolitisch betrachtet ist es blanker Wahnsinn. Es sei denn, Giuliani möchte demnächst vom Gipfel der Deponie aus die Geschicke der Stadt lenken.

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