: Französische Aufklärung
■ Die Pariser Aids-Politik: Viele schöne Gesten kaschieren viele große Probleme
Paris hat sich wieder auf Anti- Aids getrimmt: Am Eiffelturm leuchtet eine vierzig Meter große rote Schleife, die Regierung informiert in Anzeigen, und auf dem Platz Trocadéro haben Hilfsorganisationen ihre Stände aufgeschlagen.
Doch der Rummel um den Aids-Gipfel kann nicht verdecken, daß die Gastgeber im eigenen Land eine Menge Nachholbedarf haben. In Frankreich breitet sich der Virus schneller aus als in den meisten anderen Industrieländern. 32.722 Aidskranke und rund 100 bis 120.000 HIV-Positive sind bekannt. Bei Heterosexuellen ist die Infektionsrate in den vergangenen Monaten in die Höhe gegangen.
Mit einer gigantischen Medienaktion versuchten Aids-AktivistInnen, KünstlerInnen und ein paar PolitikerInnen im Frühling dieses Jahres die Öffentlichkeit aufzurütteln. Alle Fernsehsender beteiligten sich an der „Sidaction“, einer Life-Soirée mit und über Aidskranke, die am 7. April bis tief in die Nacht übertragen wurde. Prominente berichteten von ihren Bluttests, Unbekannte von ihrem sozialen und medizinischen Leiden, eine Schauspielerin küßte einen Positiven.
Die Soirée brachte Spenden in Höhe von etwa 75 Millionen Mark für Hilfsorganisationen ein und die Gewißheit, daß es noch viel mehr zu tun gebe.
Allerdings. Eines der schwärzesten Kapitel der Aids-Geschichte in Frankreich ist der Umgang mit FixerInnen. Während die Niederlande und Großbritannien früh erkannten, wie groß die Risiken dieser Gruppe sind, und Maßnahmen ergriffen, tat Paris nichts. Heute leben in Frankreich zehnmal mehr HIV-positive FixerInnen als in den Ländern, die Spritzentausch und Aufklärung betreiben.
Zweites dunkles Kapitel: die relativ geringe Akzeptanz von Präservativen. „Unsere Werbekampagnen haben versagt“, erkannten die OrganisatorInnen von Sidaction und stülpten ein ums andere Mal vor der Kamera „englische Kapuzen“ über die Finger. Zwar ist die Empfehlung für den Safer- Sex längst Teil der Aufklärungskampagnen der französischen Behörden, und die Apotheken vertreiben Präservative zu subventionierten Niedriegpreisen, doch über die Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Plastikschutz erfuhren die Franzosen wenig.
Simone Veil, die französische Gesundheitsministerin, die den Aids-Gipfel anregte, kündigte im Vorfeld an, die Mittel für Aids- Programme im nächsten Jahr auf rund 40 Millionen Mark zu verzehnfachen.
Unabhängigen Aids-Gruppen ist das alles noch viel zuwenig. Den Gipfel hingegen bezeichnen sie als zuviel. Es sei ein „Skandal“ und eine „gigantische Geldverschwendung“, sagt Alain Prodhomme, Verantwortlicher der Pariser Selbsthilfeorganisation Positifs: „Während ich gar nicht weiß, wie ich meine Kranken versorgen soll, werden da Millionen Franc ausgegeben, damit ein paar Minister nach Paris kommen, ein kleines Dokument unterzeichnen und zurückfahren. In Frankreich und anderswo wird sich dadurch nichts ändern. Nichts.“ Dorothea Hahn/Paris
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen