■ Die Angst vor einem Partisanenkrieg in Tschetschenien: Moskau kann nur verlieren
Rußland macht mobil. Von Tag zu Tag wachsen die Truppenkontingente rund um die Grenzen der kaukasischen Republik Tschetschenien. Moskau hat zweifelsohne Erfahrungen mit blitzschneller Dislozierung von Eingreiftruppen in ethnischen Konflikten – auf nichtrussischem Territorium. Das machte die Sache leichter und für die Verantwortlichen unbedenklicher. Jetzt droht Krieg im eigenen Haus, wenn auch fern der Hauptstadt. Die Vorboten des Krieges haben Moskau dennoch schon erreicht. Alle Sicherheitskräfte über die Feuerwehr bis hin zum medizinischen Personal wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Angst vor terroristischen Vergeltungsschlägen aus Gorsnij geht um. Die Bevölkerung – der Politik bis zum Hals überdrüssig – folgt auf einmal nervös den Vorgängen im fernen Kaukasus. Sie will nicht schon wieder mit Blut bezahlen, was die uneinsichtige Politik des Kreml anders nicht begleichen konnte.
Seit drei Jahren schwelt der Konflikt im abtrünnigen Tschetschenien. Moskau baut darauf, das Schicksal des zwirbelbärtigen Diktators Dschohar Dudajew werde sich von alleine erledigen. Aber nichts da. Seine Herrschaft im Innern ist zwar höchst umstritten. Als im August der oppositionelle „Übergangsrat“ den Präsidenten des Amtes für enthoben erklärte, bot sich dem Kreml eine halbwegs legitimierte Lösung. Gleichzeitig kündigte sich Waffenbedarf an. Man rüstete auf und munitionierte. Dann folgte Schlappe auf Schlappe. Der „Rat“ bewies nicht nur seine militärische Inkompetenz, er hatte auch seinen Rückhalt in der Bevölkerung dem Kreml gegenüber bodenlos übertrieben. Moskau besann sich Engelsscher Dialektik: Aus Quantität wird Qualität – und bewaffnete die übrigen oppositionellen Splittergruppen. Selbst Jelzins Intimfeind, der verjagte Vorsitzende des Obersten Sowjets, Ruslan Chasbulatow, wurde bedacht. Nichts half – bis notdürftig kaschierte russische Soldaten in die Schlacht geschickt wurden, die bös eins auf die Nase bekamen.
Ein Grund zum Eingreifen liegt nun selbstverständlich vor: „Unsere Jungs“, die Gefangenen, müssen rausgehauen werden. Die Russen mißtrauen dieser Version. Sie fürchten, daß die Armee, sollte sie tatsächlich einmarschieren, auf einen gut ausgerüsteten Feind treffen wird, der sich auf Partisanenkrieg versteht. Koalitionen wechseln in dieser Region täglich, doch der Haß auf alles Russische hat sich 150 Jahre erhalten, nach der stalinistischen Deportation noch verstärkt. Er eint alle über politische und Sippengrenzen hinweg. Jeder Russe weiß das von Kindesbeinen an. Er fürchtet zu Recht diesen Krieg. Klaus-Helge Donath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen