: Bayern wird zum Fahndungsgroßraum
Neues Polizeigesetz soll verdachtsunabhängige Personenkontrollen erlauben ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) – Es ist Mitternacht auf der Autobahn A3 Nürnberg–Würzburg. Eine Baustelle verengt beim Rasthof Aurach die Fahrbahn auf eine Spur. Dann geht nichts mehr. Polizeikontrolle. Lichtgiraffen machen die Nacht zum Tag. Vier Stunden lang dauert der Spuk, dann ist die Polizeiaktion beendet. Ergebnis der konzertierten Aktion von Polizei, Zoll, Autobahndirektion und Technischem Hilfswerk: alles kleine Fische. Kleine Verstöße gegen das Ausländerrecht und das Betäubungsmittelgesetz.
Was am 8. Juli letzten Jahres noch für Aufsehen sorgte, kann im Freistaat bald zur Normalität werden. Autobahnen, Bahnhöfe und größere Landstraßen werden für „verdachts- und ereignisunabhängige Kontrollen“ freigegeben. Wer in Bayern dann bei einer Personenkontrolle auf der Autobahn oder in einem Bahnhof ohne Ausweis angetroffen wird, kann sich zukünftig schnell auf dem Polizeirevier wiederfinden. Zur Rechtfertigung braucht der Polizeibeamte nicht einmal mehr einen Verdacht. Er handelt völlig korrekt entsprechend dem neuen Entwurf der bayerischen Staatsregierung zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Es wird morgen vom Landtag verabschiedet.
Mit diesem bundesweiten Alleingang kann sich Innenminister Günther Beckstein wieder einmal als Vorreiter in Sachen Innere Sicherheit feiern lassen. Nach bisherigem Recht sind verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen nur im Zollgrenzbezirk, also im Bereich von 15 Kilometern bis zur Landesgrenze, und im Flughafenbereich möglich, um ein unerlaubtes Überschreiten der Grenze zu verhindern. Nach dem bayerischen Entwurf sollen derartige Kontrollen künftig im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern, in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs wie Flughäfen, Bahnhöfen und Busbahnhöfen sowie auf Durchgangsstraßen erlaubt sein. Insbesondere die Ausweitung auf Durchgangsstraßen, also auf Bundesautobahnen, Europastraßen und anderen Straßen „von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr“, bezeichnet die Staatsregierung als „Herzstück“ ihres Entwurfes.
In Becksteins Sicherheitsphilosophie werden Autobahnen nun zu „Spezialrouten“ des Verbrechens. Da gelte es, der Polizei im Kampf gegen die Mafia „Waffengleichheit“ zu gewähren. Zumal der Abbau der Binnengrenzen in der Europäischen Union dem internationalen Verbrechen „totale Bewegungsfreiheit“ eröffnen und illegale Einwanderer anlocken könnte. Dies gelte es zu verhindern. Deswegen ist dem Innenminister auch die bisherige Zweckbestimmung der Kontrolle zu eng gefaßt. Er will nicht mehr nur den unerlaubten Grenzübertritt verhindern, sondern den unerlaubten Aufenthalt verhüten und die grenzüberschreitende Kriminalität bekämpfen. Beckstein sieht in der erweiterten Kontrollbefugnis letztlich ein weiteres Instrument zur Bekämpfung der sogenannten „Organisierten Kriminalität“ (OK).
So groß kann der Feind nicht sein. 1993 wurden in Bayern ganze 66 Ermittlungsverfahren gegen OK-Verdächtige eingeleitet. Der ehemalige Datenschutzbeauftragte Sebastian Oberhauser hatte im März das Handtuch geworfen und Beckstein vorgeworfen, er bemühe die Bekämpfung der OK nur als „Sesam, öffne dich!“ zur „Aushöhlung des Rechtsstaates sowie der Grund- und Menschenrechte“.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen lehnen die Novellierung des PAG entschieden ab. Damit würde nur ein „Fahndungsgroßraum Bayern“ geschaffen werden. „Letztlich kann dann jeder zu jedem Zeitpunkt und an jeder Stelle kontrolliert und zur Identitätskontrolle mitgenommen werden“, kritisiert Albert Schmid, geschäftsführender Chef der SPD-Landtagsfraktion. Bayern isoliere sich mit dem Vorhaben – und das, obwohl schon jetzt das bayerische PAG der Polizei erheblich mehr Befugnisse einräume als den Polizisten anderer Bundesländer. Für Schmid bedeutet die Gesetzesänderung nicht nur ein „Einfallstor für eine stärkere und feinmaschige Überwachung aller BürgerInnen“, sondern sei zudem verfassungsrechtlich bedenklich. Das neue PAG enthalte Elemente der Verbrechensbekämpfung und greife damit in die Bereiche des Bundes ein.
Die Grünen sehen mit der PAG-Novelle den „Eilmarsch in den Obrigkeitsstaat“ fortgesetzt. Nach der Neufassung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, der Einführung der sogenannten „Sicherheitswacht“, dem neuen Datenschutzgesetz sowie dem grünen Licht im Freistaat für den „Großen Lauschangriff“ werde in Bayern erneut „ein Stück Rechtsstaat geopfert“.
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