: In 300 Jahren alles wieder in Ordnung
Mit Zorn quittiert die Bevölkerung der Kleinstadt Sperenberg die Baupläne für den neuen Großflughafen Berlin Brandenburg / „Ausgleichsmaßnahmen für Kettensägenorgie sind lächerlich“ ■ Von Hannes Koch
Die Taktik der Neutralisierung des politischen Gegners durch Einschläferung wird in der Sperenberger Gaststätte Arnold bis zum Exzeß betrieben. In einer umständlichen, mit vielen „Öhs“ und „Ähs“ gewürzten Rede überbringt der Referatsleiter des Potsdamer Umweltministeriums schlechte Nachrichten an die 1.800 BewohnerInnen der brandenburgischen Kleinstadt. Sperenberg ist vom Ministerium als einer von zwei potentiellen Standorten für den neuen Großflughafen Berlin Brandenburg auserkoren.
Die flauschig verpackte und schonend vermittelte Ankündigung der Betonierung von 2.000 Hektar Wald und Wiesen trägt zunächst Früchte. Die ersten Augenlider der 60 Anwesenden klappen schon träge nach unten, als auch der Sprecher der „Bürgerinitiative gegen den Flughafen“ im Kaffeeplauderton spricht. Sanft und nahezu unbeteiligt warnt Carsten Preuß vor der kommenden „ökologischen Katastrophe“.
Doch nach anderthalb Stunden hat sich schwelender Zorn in ausreichender Menge gesammelt. Ein Naturschützer aus Zossen empört sich lautstark über das „gehörige Maß an Verdummung“, das das Ministerium mit seiner Standortempfehlung der Sperenberger Bevölkerung zumute. Die Planungsunterlagen für das Anfang November beendete Raumordnungsverfahren seien von der Berlin Brandenburg Flughafen Holding, die den neuen Airport bauen will, so manipuliert worden, daß Schönefeld als ungeeignet, Jüterbog und Sperenberg hingegen als geeignet erscheinen.
Der Vertreter der Flughafen- Gesellschaft braucht ob dieser Anschuldigung nur für wenige Sekunden pikiert dreinzublicken, und schon springt der Versammlungsleiter hinter seinem Tisch hervor. Über guten Umgangston referierend, pflanzt er sich in der Mitte des Raumes auf, um dem zu Protest auflaufenden Publikum Einhalt zu gebieten. Sinn des Mediationsverfahrens sei es, die unterschiedlichen Positionen in freundlicher Atmosphäre auszutauschen. „Sonst kommt der Vertreter des Flughafens beim nächsten Mal nicht mehr.“ Der geübte Diskussionsleiter mit dem süddeutschen Akzent hat Erfahrung: Seit anderthalb Jahren moderiert sein Arbeitgeber, das Zentrum für Umweltkonfliktmanagement GmbH, im Auftrag des Potsdamer Umweltministeriums die monatlichen Talkrunden, bei denen Flughafen- Holding, Behörden, Gewerkschaften und Initiativen „über ihre Probleme reden“. Das Ministerium hofft, mit der vorgetäuschten Bürgerbeteiligung die explosiven Interessengegensätze unter dämpfenden Kompromissen zu begraben, um schließlich sein Ziel zu erreichen: den Bau des Flughafens ohne Widerstand der Bevölkerung.
Die Bürgerinitiative Sperenberg hat sich auf das Spielchen bislang eingelassen – unter anderem um die entstehenden Nachrichtenkanäle für ihre Zwecke zu nutzen. Doch am Dienstag wollte die professionelle Befriedung nicht funktionieren. BI-Sprecher Carsten Preuß legte immer wieder seinen Finger in die Wunde: Die Sperenberg-Entscheidung des Umweltministeriums sei dem politischen Druck durch Ministerpräsident Stolpes (SPD) Staatskanzlei zu verdanken. In der Tat bevorzugt Brandenburgs Landesregierung einen weit von Berlin entfernten Flughafen bei Sperenberg oder Jüterbog, um die ärmliche Streusandbüchse mit Investitionsmilliarden zu füllen. Zudem könnten die alten sowjetischen Militärgelände, auf denen der neue Airport entstehen soll, auf Bundeskosten von gefährlichen Granaten und Chemieabfällen gesäubert werden.
Im Gegenzug bemängelt die Bürgerinitiative, daß das Umweltministerium die ökologische Bedeutung der westlich des Ortes gelegenen Wälder und Feuchtgebiete unterbewerte. Die zusammenhängenden Waldgebiete stellten unersetzliche Biotope für Tiere und Pflanzen dar und seien auch für die Neubildung des Grundwassers im Baruther Urstromtal unerläßlich. Einfaches Spiel haben die Airport-KritikerInnen angesichts des bevorstehenden Kahlschlags. Etwa 22 Millionen Bäume werden dem Traum vom Fliegen geopfert. Das Umweltministerium bezeichnet die Wundertaten der Kettensäge als „Auflösung eines Waldgebietes“.
Ebendiese Wälder sind der Augapfel des bei Sperenberg lebenden Naturschützers Werner Nietschmann. Bevor er am Dienstag abend zur Versammlung ging, hatte er die Berliner Grünen-Abgeordneten Hartwig Berger und Carlo Jordan zu einem ausgedehnten Spaziergang mitgenommen. Die dabei zu klärende Frage: Handelt es sich um wertlose, öde Kiefernforste auf militärverseuchtem Boden, wie manche Flughafen-Befürworter betonen, oder um erhaltenswerte Biotope? Entlang der Sandwege sind immer wieder kriegerische Überreste zu finden: verlassene Unterstände, eingestürzte Bunker, verrostete Autowracks. Mancher Forstarbeiter hat beim Bäumefällen Metallteile entdeckt, die sich beim genauen Hinsehen als Granaten und Bomben entpuppten, denn bereits seit 1875 testete die deutsche Armee hier ihre Kanonen. Zwar sind die Kiefernforste mit ihren schmächtigen Stämmen zahlreich vorhanden, doch immer wieder finden sich große Flächen mit Eichen- und anderem Laubwald. Mit glänzenden Augen blickt Naturschützer Nietschmann schließlich auf das Picher Luch, ein mehrere Quadratkilometer großes Feuchtgebiet. Statt einer Autobahn rauschen die Binsen und das Pfeifengras. „Kraniche hatten wir dieses Jahr hier und früher den Fischadler.“ Am Luch vorbei führt der Weg zum 190-Seelen-Dorf Schöneweide. An den Ortseingängen grüßen Schilder: „Flughafen Sperenberg – Nein Danke“. Sämtliche Häuser müßten hier abgerissen werden, sollte der Mammutflughafen jeweils vier Start- und Landebahnen bekommen, wie es die Flughafen-Holding wünscht. Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck (parteilos) hält zwei bis drei Bahnen für ausreichend. Das würde Schöneweide retten, doch das Dorf läge dann kaum mehr als einen Kilometer vom Rollfeld entfernt, was den EinwohnerInnen unerträglichen Lärm bei Tag und Nacht bescheren würde.
40 Jahre waren die Wiesen und Wälder rund um Sperenberg für die EinwohnerInnen kaum zugänglich. Jetzt sind die sowjetischen Truppen abgezogen, und schon kommt die nächste Macht in Gestalt von Landesregierung und Flughafen-Holding, die die Natur nicht konfiszieren, sondern gleich zerstören will. Das paßt den Sperenbergern nicht. Und sie mögen auch den Beteuerungen der PlanerInnen keinen Glauben schenken, daß die abgeholzten Wälder nebenan ebenso schön wieder aufgeforstet würden. Viel Beifall bekommt deshalb bei der Versammlung Sylvia Voß, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen aus Potsdam, als sie von einem Besuch des Großflughafens München-Erding berichtet: „Die Ausgleichsmaßnahmen dort sind lächerlich, ein paar Kiestümpel mit zehn Zentimeter Wasser drin.“ Und der Sperenberger Oberförster greift in die Kiste seines Fachwissens: Die kommenden Generationen könnten die Ausgleichsmaßnamen sowieso nicht genießen. Ein Wald brauche schließlich 140 Jahre, bis man ihn als solchen bezeichnen könne, der Waldboden sogar 300 Jahre.
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