piwik no script img

Giftlawine rollt durch den Norden

■ Hoechst entsorgt sich: 60.000 Tonnen Chemiemüll wandern nach Schönberg Von Marco Carini

Für die Lübecker Umweltsenatorin Maria Krautzberger (SPD) ist es schlicht „ökologischer Wahnsinn“. Mindestens 60.000 Tonnen Bauschutt, aber auch quecksilberverunreinigte Bariumschlämme und andere Chemiegifte sollen von heute an auf die Sondermülldeponie Schönberg zurollen.

2500 vollbeladene LKWs – etwa 20 täglich – werden den Chemie-Schutt quer durch die Republik an Hamburg vorbei bis zu der mecklenburgischen Abfallhalde bringen. Der Transport soll voraussichtlich erst Ende März abgeschlossen werden.

Der Grund für die umstrittene Mülltour ist die Schließung der lecken Hoechst-Deponie bei Kriftel im Main-Taunus-Kreis. Von hier wurden bereits über 100.000 Tonnen Abfälle in die Müllhalde „Buchschlag“ bei Frankfurt umgeladen. Peter Kyritz von der Hessischen Umweltinitiative „Schnüff-ler und Maagucker“ vermutet nun, „daß noch größere Müllmengen mit viel gefährlicheren Umweltgiften“ nach Schönberg rollen als bisher bekannt. Denn nach seinen Informationen lagern nicht 60.000, sondern noch 83.000 Tonnen Abfälle in Kriftel.

Zudem erlebten die Gutachter des im Taunus beheimateten „Institut Fresenius“ eine Überraschung, als sie den von Kriftel nach Buchschlag verbrachten Müll analysierten. Statt der von Hoechst als „Hausmüll“ und „hausmüllähnliche Abfälle“ deklarierten Abfallfrachten entdeckten die Prüfer Giftmüll pur: Hochgiftige Substanzen wie Arsen, Blei und Cadmium, aber auch Dioxine, Furane und polychlorierte Biphenyle (PCBs) fanden sich bei der Analyse in dem angeblich so harmlosen Hoechst-Abfall.

Peter Kyritz ahnt: „Da die in Kriftel abgelagerten Müllfrachten nicht sortiert wurden, ist es so gut wie sicher, daß all diese grundwassergefährdenden Gifte auch in dem Müll für Schönberg sind“. Ein „Giftcocktail“ besonderer Güte rolle da auf die mecklenburgische Deponie zu.

Umweltsenatorin Maria Krautzberger beklagt darüber hinaus, daß die gefährlichen Abfälle per LKW und quer durch Landschaftsschutzgebiete wie das Lübecker Lauerholz gekarrt werden. “Massenabfälle“ würden aber aus Sicherheitsgründen „auf die Schiene und nicht auf die Straße“ gehören. Offizieller Grund für den Straßentransport: Die Müllbehälter hätten beim Bahntransport zweimal umgeladen werden müssen.

In der Bundesbahn, die ein Angebot zum Transport der Giftstoffe eingereicht hätte, kursiert allerdings eine andere Erklärungsvariante, warum man selber nicht zum Zug kam. Denn mit der „Hanseatic“ bekam eine Spedition den Zuschlag, die zufällig zur Firmengruppe des Schönberger Deponiebetreibers Adolph Hilmer gehört. Ein Bahnsprecher: „Die norddeutsche Müll-Connection hat sich mal wieder selber bedient“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen