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Das Eigenheim neben der Rollbahn

Serie „Wo hebt Berlin ab?“ (Teil 3): Trotz der Pläne für den Großflughafen bauen Anwohner von Schönefeld ihre Häuser nahe der Startbahn / Schwanken zwischen Hoffnung auf Entschädigung und Protest  ■ Von Hannes Koch

Mit dem schwindenden Licht des Wintertages hämmert der einzige Bauarbeiter das letzte Brett in die Türfüllung. Der Bauherr ist schon zu seiner Familie nach Hause gefahren. Die Finger sind klamm, und das Holz will nicht passen. Noch ein Schlag, dann sitzt es. Der Handwerker schiebt die Pudelmütze ins Genick und sagt: „Was soll's, man macht halt weiter hier.“ Er könne verstehen, daß sein Auftraggeber sich am Ortsrand des Dorfes Rotberg den Traum vom Eigenheim erfülle. Er selbst habe schließlich schon vor sieben Jahren, noch zu baustoffknappen DDR-Zeiten, seine eigenen vier Wände gemauert. Das Lebenswerk, errichtet am Ort der Jugend. Jetzt packt er das Werkzeug zusammen.

Das neue Einfamilienhaus – Keller, Hochparterre, Dachgeschoß – steht schon im Rohbau. Aus den noch leeren Fensterhöhlen geht der Blick weit über die Äcker, die sich nach Norden bis zum Zaun des Flughafens Schönefeld erstrecken. Von dort ist nicht viel zu hören, die Landebahn liegt gut vier Kilometer entfernt. Nur ein dumpfes Brummen leerlaufender Düsentriebwerke erfüllt die Luft. Man muß sich konzentrieren, um das allgegenwärtige Hintergrundgeräusch wahrzunehmen. Ein Lkw, der über das Kopfsteinpflaster der Dorfstraße poltert, ist dagegen infernalisch laut.

In zehn oder zwanzig Jahren ist es mit der ländlichen Ruhe womöglich vorbei – falls Rotberg dann überhaupt noch existiert. Auf Landkarten der Flughafen-Holding, die Schönefeld betreibt, liegt das brandenburgische Dorf schon innerhalb des Zaunes, der das nach Süden erweiterte Gelände umschließt. Der Ortskern wäre hundert Meter vom Ende der dritten Startbahn des zukünftigen Großflughafens Berlin Brandenburg International entfernt. Wo dröhnende Triebwerke vollbesetzte Jumbo-Jets in die Luft drücken, kann und darf niemand leben. Das brandenburgische Umweltministerium hat Teile von Rotberg deshalb auf die Liste der Umsiedlungen gesetzt. Die BewohnerInnen müßten ihre Häuser verlassen, die vermutlich abgerissen würden.

Doch noch ist alles in der Schwebe. Würde die Startbahn ein paar hundert Meter nach Südwesten verschoben, könnte Rotberg stehen bleiben. Ob das Leben am Ende der Rollbahn dann noch lebenswert ist? Der Krach der startenden Jets wäre unerträglich.

Derweil warten die Rotberger ab – und bauen weiter. Seit der Wiedervereinigung ist das Dorf sogar von 170 auf knapp 400 EinwohnerInnen angewachsen. Am Ortsrand entstand eine Siedlung mit einigen Dutzend schmucker Einfamilienhäuser. Die verklinkerten Fassaden blicken auf kleine Vorgärten, Weihnachtsschmuck blinkt in den Fenstern. 350.000 bis 480.000 Mark, je nach Grundstück, habe die steingewordene Gemütlichkeit gekostet, erzählt Hausbesitzer Georg W. Hin und wieder habe er zwar Sorgen um die Zukunft, aber – er reibt Daumen und Mittelfinger aneinander wie beim Geldzählen – schließlich könne man auch verkaufen. Es komme darauf an, welche Entschädigung der Staat und die Flughafen-Gesellschaft zu zahlen bereit seien. Da wolle er etwas herausholen. „Außerdem weiß sowieso niemand, wo man in ein paar Jahren lebt.“ Er finde Österreich ganz schön.

Anna B. aus der Ortsmitte sieht ihren Lebensabend dagegen nicht in den Alpen, sondern nirgendwo anders als im heimischen Rotberg. Bis zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft war die alte Frau Bäuerin, überlebte die LPG und wohnt noch immer auf ihrem Anwesen. Gerade läßt sie einen Stall zu Wohnungen umbauen. Erst erteilten die Behörden die Baugenehmigung, und dann solle vom Bagger alles zusammengeschoben werden? Nein, sie kriege man hier nicht weg. Anna B. droht an, sich eine Pistole zu kaufen. „Ich habe alles alleine über die Zeit gebracht.“ Ihr Sohn kommt hinzu und meint, daß er grundsätzlich nichts gegen den Flughafen Schönefeld habe. Nur größer dürfe er nicht werden.

Dieser Wunsch wird sich nicht erfüllen. Bald wird die Anlage ausgebaut. Da das Verluste erwirtschaftende Flugfeld in Tempelhof seinem Ende entgegengeht und die Kapazitäten in Tegel in naher Zukunft erschöpft sind, will die Flughafen-Holding eine Übergangslösung bis zum Bau des Großflughafens schaffen.

Der für 1995 angekündigte Bau des neuen Terminals West soll die Abfertigung von zusätzlichen 4,5 Millionen Passagieren pro Jahr ermöglichen. Im Vergleich zu den gegenwärtig 1,6 Millionen Fluggästen verdreifacht sich der Betrieb in einigen Jahren. Für die Bequemlichkeit der Reisenden sorgt dann eine 550 Millionen Mark teure „Airport-City“ mit Büros, Geschäften und einer überdachten Verbindung vom Bahnhof Schönefeld zum Flughafen.

Derweil tun sich die Flughafen- Holding, der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenburg schwer, den Standort des zukünftigen Großflughafens festzulegen. Zur Debatte stehen Jüterbog und Sperenberg runde 50 Kilometer südlich von Berlin und, am nächsten zur Stadt, Schönefeld selbst. Wegen der Interessengegensätze unter den Beteiligten wird die Einigung auch 1995 schwierig bleiben. Vorstellbar ist deshalb, daß sich die „Übergangslösung Schönefeld“ durch die Ausbauten allmählich zum abgespeckten Großflughafen mausert.

Abhängig von der Zahl der später notwendigen zusätzlichen Startbahnen könnte diese Entwicklung das Problem der Umsiedlungen auf die Tagesordnung setzen. Bedroht sind die Wohnungen von etwa 800 Menschen in den Orten Rotberg, Diepensee, Selchow, Glasow und Karlshof. Der brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck hat deshalb Stellung bezogen: Schönefeld scheide als Standort für den Großflughafen aus.

„Die Leute, deren Häuser abgerissen werden, sind noch nicht einmal am schlimmsten dran“, meint Manfred Baum, der in Eichwalde, fünf Kilometer östlich der heutigen Startbahn lebt. Mehr zu bedauern seien die Menschen, die später nahe am Flughafenzaun wohnten und den Lärm der startenden Jets ertragen müßten. Manfred Baum, Vorstandsmitglied des Deutschen Mieterbundes Brandenburg, widmet sich dem Kampf gegen den Krach. Seine „Bürgerbewegung Berlin-Brandenburg“ organisiert nach eigenen Angaben 20.000 Menschen rund um Tegel und Schönefeld. Die Flughafen-Holding könne gar nicht gewährleisten, so argumentiert der frühere Atomphysiker, daß die zulässigen Lärmgrenzwerte eingehalten würden. 30.000 Menschen seien dann in der „engeren Lärmzone“ vom Krach der Flugzeuge betroffen. „Als Ergebnis haben wir Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkte und Magengeschwüre.“

Plastisch malt Baum die sozialen Lärmschäden am Flughafen Tegel aus und prägt ein neues Wort: „Das ist ein Lärmslum.“ In An- und Abflugrichtung liege keine Apotheke, wohne kein Lehrer, kein Intellektueller. Verelendung greife um sich, die Mieten sänken. Meist arme Leute ohne Chancen auf eine bessere Bleibe würden dort noch ihr menschenunwürdiges Dasein fristen. Derartige Zustände will er in Eichwalde unter allen Umständen verhindern.

Sein politisches Konzept sieht so aus: Tegel, Tempelhof und Schönefeld müßten geschlossen und durch einen neuen Flughafen ersetzt werden. Manfred Baum wägt die an den drei Standorten zu erwartenden Schäden für Mensch und Natur gegeneinander ab. 50 Kilometer südlich von Berlin wäre zwar die Natur betroffen, aber wegen der dünnen Besiedlung würden nur wenige Menschen lärmgeschädigt. Die könne man zudem leicht und mit vertretbarem finanziellem Aufwand umsiedeln. Im Umkreis von Schönefeld hingegen lebten 30.000 AnwohnerInnen, deren Entschädigung viel zu teuer sei, weshalb sie im Falle des Flughafenbaus langfristig den Lärm ertragen müßten. Der optimale Flughafenstandort liege dort, „wo die Schäden für Mensch und Natur am geringsten sind“, also bei Sperenberg oder Jüterbog und nicht etwa bei Schönefeld. Für die „Bürgerinitiative gegen den Flughafen Sperenberg“ ist Manfred Baum deshalb längst rotes Tuch. Wenn er auf Versammlungen das Wort ergreift, hagelt es Protestrufe.

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