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Lauter nette Schweine eben

Nach viel Vorabtamtam wegen einer Fast-Zensur hatte im Berliner Ensemble „Ich bin das Volk“ von Franz Xaver Kroetz Premiere, 21 böse und komische Szenen aus Neudeutschland  ■ Von Petra Kohse

Das Vorspiel hätte man nicht besser inszenieren können. Eine Plakatserie mit Holzschnitten und einem anti-ausländerfeindlichen Gedicht von Reinhard Lettau sollte für die Aufführung von Kroetzens „Ich bin das Volk“ am Berliner Ensemble werben. Per Dominoprinzip werden da rechte Klischee-Parolen ad absurdum geführt: „Homos verarschen, Deutschland den TürkInnen“ steht auf einem, „Kemal kümmel dich, Deutschland den Gelben“ auf dem nächsten und so weiter. Keine ausgesprochen originelle Idee, nichtsdestotrotz wurde die Serie bereits etwa in Mainz und Hannover ausgestellt.

In den Berliner U-Bahnhöfen allerdings wollte die BVG die Plakate nicht aufgehängt sehen, weil den Fahrgästen nicht zugetraut wurde, die Polemik zu durchschauen. Das Berliner Landgericht indessen zeigte sich in Sachen politischer Korrektheit noch nicht so hysterisch und entschied vor einer Woche, daß auch U-BahnbenutzerInnen vor Ort und derart ins Berliner Ensemble gelockt werden dürfen.

Da knallte sicher der Sektkorken

Eine erstklassige Werbekampagne in den politischen Teilen der Lokalzeitungen ging der Premiere also voraus. Und als die Einlasserinnen im Foyer dann auch noch ein Blatt verteilten, auf dem der Kauf der Plakatserie mit einer in der Berliner Zeitung abgedruckten Meldung motiviert werden sollte („Gericht: Verkehrs-Reklame muß BE-Plakate aufhängen“) konnte man sich richtig vorstellen, daß im BE nach der BVG-Weigerung mindestens ein Sektkorken geknallt hat, wurde dadurch doch aktenkundig, ein wie heißes Eisen das Theater mit Kroetzens „Volkstümlichen Szenen aus dem neuen Deutschland“ anfaßt.

Wie die Werbung, so das Produkt: Für PC-Hardliner ist das Stück tatsächlich ergiebig. In den 24 Episoden (von denen im BE nur 21 gespielt werden), wimmelt es von jugendlichen Neonazis und ihren Sympathisanten im staatlichen Establishment. Ob Politiker, Polizist oder Richter, alle haben letztlich Verständnis für antisemitische oder rassistische Sprüche und Taten, als deren einzige Alternative der linke Terror zu drohen scheint.

Ein Knigge für politisch garantiert Unkorrekte

Solingen und AsylbewerberInnen in der Kirche kommen vor – Franz Xaver Kroetz hat in die Zeitung und dem Volk aufs Maul geschaut und dabei Gerechtigkeit bewiesen: durch die Bank sind sie Deppen, diese Neudeutschen, die entweder auf andere (und bei Bedarf auch auf ihresgleichen) einhacken oder im falschen Moment den Mund halten, angefangen vom Jungfaschisten bis hin zum sozialdemokratischen Vater und der Antifa- Lehrerin.

Sogar ein Dichter, dem die Muse ein flammend plakatives Anti-Stoiber-Gedicht im Ton der Ingeborg Bachmann eingegeben hat, ruft bei einem befreundeten Anwalt an, um sicherzugehen, daß er „Stoibernazi“ auch wirklich schreiben darf.

Das liest sich streckenweise wie ein Knigge für politische Unkorrektheit, hat aber eine so komisch realistische Bühnensprache, daß natürlich doch keine Mißverständnisse aufkommen können. Franz Xaver Kroetz, Ex-Kommunist, Ex- Bild-Kolumnist und sicher noch unser originellster und konsequentester Volksdramatiker, entlarvt seine Figuren mit viel Sympathie. „Ich bin eben von lauter netten Schweinen umgeben“, wird er im Oktoberheft der Zeitschrift Theater heute zitiert.

Böse Amüsieranlässe oder nicht doch mehr?

Kroetz hält „Ich bin das Volk“ nicht für sein bestes Stück, meint aber, daß eine Aufführung gerade in einem Jugendtheater sehr wichtig sein könnte. Und auch wenn die Szenen trotz ihrer Plakativität keineswegs auf sozialpädagogische Katharsis zielen – da ist was dran. Vor einem Publikum, das sich hiervon nicht provozieren läßt, weil es den trostlosen Stand gesamtdeutscher Befindlichkeit ohnehin schon geahnt zu haben meint, können die Sketche von „Ich bin das Volk“ leicht zu reinen, wenn auch bösen, Amüsieranlässen werden.

Dann liegen sie da, auf den Brettern, die schon lange nicht mehr die Welt bedeuten, und müssen nach immer mehr Luft schnappen, wie Fische auf dem Trockenen. Und fangen schon kurz nach Vorstellungsende an zu stinken, und ihr Verwesungsgeruch steigt ästhetisch Anspruchsvollen in die Nase. „Das hilft uns doch nicht weiter“, sagt eine Frau nach der Premiere zu ihrer Begleiterin auf dem Weg zur U-Bahn. „Das ist im Grunde doch Boulevard und diejenigen, an die es sich richtet, gehen sowieso nicht ins Theater.“ Wer weiß. Fascho-Skins waren in der Premiere zwar keine, aber wenigstens eine Lehrerin wird doch dabeigewesen sein.

Diesmal kein Altherrenheimspiel

Nach der Wuppertaler Uraufführung durch Holk Freytag im September jetzt also die Berliner Inszenierung. Peter Zadek hat die „Leitung“, das heißt: sechs jüngere AssistentInnen und RegisseurInnen haben jeweils mehrere Szenen erarbeitet. Das hat zwar nichts mit Jugendtheater zu tun, ist aber glücklicherweise ein Schritt weg vom gewohnten Altherrenheimspiel in diesem Haus.

Eigene Handschriften von Elisabeth Gabriel, Bärbel Jaksch, Ulrike Maack, Stephan Suschke, Holger Teschke und Stephan Wetzel lassen sich in so kurzen Stücken kaum erkennen. Die 21 Episoden mit Titeln wie „Gott ist ein Kaufhaus“ oder „Wenn der Hahn kräht“ haben auf der Bühne zwar eine recht unterschiedliche Qualität, aber das liegt schon am Text.

Zum ersten Mal ist es vorteilhaft, daß sich am Berliner Ensemble zwei Schauspielstile mischen. Analytisch-distanzierte DarstellerInnen wie Carmen-Maja Antoni aus der alten BE-Garde oder Christoph Müller aus der jungen ergänzen sich etwa neben dem lustvoll-spielerischen Urs Hefti aus der Zadek-Riege tatsächlich zu einem Querschnitt durchs Volk.

Johannes Grützke hat die Bühne gestaltet. Mal prangt im Hintergrund der Prospekt eines monumentalen Gerichtsgebäudes oder eine expressionistische Kreuzberg-Collage, mal blickt man durch ein Fensterchen auf eine fast naiv gemalte Münchener Stadtansicht, dann wieder stehen nur Pappwände herum. Das Volk ist eben überall. Stets ist hinter der Kulisse jedoch der sonst kahle Bühnenraum zu erkennen, und die Szenentitel werden auf ein grün umrandetes, ausgefranstes Leintuch projiziert.

Nazisohn, Sozivater und grell-lila Amazone

Brecht lebt, und der deftig-realistische Grundcharakter dominiert. Überflüssigerweise turnt allerdings eine Fee mit Goldstaub im Haar (Gaby Herz) durchs Geschehen: für den Engel der Geschichte nicht ironisch-süßlich genug, als Nummerngirl zu affektiert.

Man wird nicht gerade erschlagen von szenischer Phantasie, aber Text und Ensemble sind solide genug, um zwei Stunden unprätentiös zu füllen. Ein künstlerisch überhöhtes Dokumentarspiel ist zu sehen, Gebrauchstheater der geschickten Sorte, das am Ende auf grotesk-zeigefingernde Art sogar philosophisch wird. Da bedroht der Nazisohn erst den Sozivater, wird dann von diesem niedergeschossen, woraufhin die Mutter zur grell-lila Amazone mutiert und das Blutbad fortsetzt. Aber weil sie nicht gestorben sind, leben sie natürlich weiter.

„Ich bin das Volk“ von Franz Xaver Kroetz; Regie: Gabriel, Jaksch, Maack, Suschke, Teschke, Wetzel; Bühne: Johannes Grützke; nächste Aufführungen am 27./28.12. (Achtung, Spielplanänderung!), 19.30 Uhr und 31.12., 15 Uhr und 19 Uhr sowie natürlich im nächsten jahr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte

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