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Bum, Bum, beten!

Live aus dem Sportstudio: Pater E. Brown mit der Wahl des gottesfürchtigsten Sportlers des Jahres. Wer boxt und kickt und schlägt am besten im Namen des Vaters und des Sohnes? Der Doppelpaß mit Jesus  ■ Von Bascha Mika

(Ein Fernsehstudio, irgendwo am Stadtrand von München)

Pater Brown: Und der Herr sprach durch den Mund seines Apostel Paulus: „Wißt ihr nicht, daß die, die in der Kampfbahn laufen, alle laufen, aber nur einer empfängt den Siegespreis. Lauft so, daß ihr ihn erlangt.“ (1. Kor. 9, 24) So begrüße ich Sie, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, zur Wahl des gottesfürchtigsten Sportler des Jahres. Viele sind berufen, wenige aber auserwählt. (Applaus) Deshalb lasset uns hingehen und den ersten Kandidaten hereinbitten. (Applaus, Auftritt Wynton Rufer:)

Gott segne Sie, Bruder Rufer. Sie treten den Ball, daß es dem Herrn wohlgefällt. Den einen gibt er's im Schlaf, den anderen in der Telefonzelle. Erzählen Sie uns, wie Gott sich Ihrer erbarmte. Da war also dieses Häuschen und siehe – der Himmel öffnete sich, ein Licht erstrahlte und erleuchtete Ihre Waden ...

Rufer: „Ja, ja so war es. Es klingt wahnsinnig, aber da empfing ich den Heiligen Geist. Ich fühlte mich frei von Sünden und weinte in der Telefonzelle.“

Pater: (salbungsvoll in die Stille hinein) Fortan, liebe Gläubige, soff und hurte Wynton Rufer nicht mehr und führte ein lauteres Leben. Denn wer Gott liebt, braucht weder Alkohol noch Drogen. Wie sagt unser Berlin-Brandenburger Bischof Huber in seiner Grußadresse: „Sport ist eine Handlungsform, in der Menschen von den natürlichen Bedingungen des eigenen Lebens, der eigenen Leiblichkeit Gebrauch machen; er vollzieht sich in aller Regel als ein Bewegungshandeln in Raum und Zeit.“ Amen. (Pause) Und so wurde Wynton Rufer noch erfolgreicher bei Werder Bremen, weil er den Fußball in seine Gebete einschloß.

Die schwerste Prüfung steht Ihnen jedoch noch bevor, Bruder Rufer. Um unseren Siegespreis, eine Reliquie des Heiligen Meniskus, zu erringen, müssen Sie sich hier und heute mit den anderen Kandidaten im sportlichen Wettkampf messen. Bis dahin haben Sie noch Zeit, ein wenig zu frohlocken. (Applaus, Rufer ab)

Wir wenden uns indessen unseren nächsten Kandidaten zu. Der Geist, liebes Publikum, weht, wo er will. Nicht nur in Brasilien und Italien, nicht nur in den USA und Neuseeland, nein, auch hier in der Bundesrepublik. Auch hier gibt es Sportler, die Ihre Talente dem Herrn geweiht haben. Wir danken an dieser Stelle unserem Kaiser, der unsere Jungs bei der WM 1990 in die Messe geführt hat. (das Saalpublikum erhebt sich) Einschließen in unser Gebet will ich unseren Formel-1-Star Schumi, der nur mit Gott auf die Piste geht. Und Stefan Mees, der erst kürzlich aus dem Kloster zur Fußballbundesliga zurückgekehrt ist. (Pater Brown bedeutet den Zuschauern, sich wieder zu setzen)

Genug davon. Ich bitte jetzt zu mir: Bumbum Becker (starker Applaus). Und den Leichtathleten und mehrfachen deutschen Meister Peter Bouschen. (Applaus ebt ab, an der Hinterbühne erscheint Boris Becker, der mit seinem schwarzen Rollkragenpullover aussieht wie ein gealterter Ministrant, etwas später Peter Bouschen, der sich abseits stellt)

Herr Becker, werdet wie die Kinder, spricht der Herr. Sie haben das wörtlich genommen. Wollen Sie uns sagen, was Ihr Herz vor dem Match bewegt?

Becker: „Ich bete, bitte, lieber Gott, gib mir meinen Aufschlag zurück, ich mache ja auch alles, was du willst.“

Pater: Und der Herr hat Sie immer erhört? Sie zögern. Sie denken an Wimbledon und Michael Stich. Sollte der sich etwa auch an den höchsten Linienrichter gewandt haben? Was glauben Sie, Bruder Bouschen? (dreht sich nach rechts und sucht irritiert seinen Gesprächspartner, der nun zögerlich ans Mikro kommt)

Bouschen: (mit leiser Stimme) „Wenn sich mehrere Leute qualifiziert haben, und alle um den Sieg bitten, wird Gott sagen: Ihr habt 'se nich' mehr alle. Macht das unter euch aus!“

Pater: (aufmunternd) Wie wir wissen, waren Sie Meßdiener und betrachten Ihren Körper als Gottesgeschenk. Hat Sie das vor der Sünde bewahrt?

Bouschen: (nun etwas sicherer) „Mit 26 hatte ich eine sportliche Krise. Ich habe ernsthaft über Doping nachgedacht. Doch mein Glauben hat mich davor bewahrt.“

Pater: Was machen Sie vor einem wichtigen Wettkampf?

Bouschen: „Ich gehe zum Friseur.“

Pater: Äh, ja. (peinliche Pause, schaut auf seinen Spickzettel) Hatten Sie jemals eine Erleuchtung wie Wynton Rufer?

Bouschen: „Nein. Aber vielleicht hat Gott tatsächlich mit Rufer gesprochen. Wenn man an Gott glaubt, ist nichts unmöglich.“

Pater: (wendet sich der Kamera zu) Gottgefälliger hätte es mein Namensvetter und DFB-Präsident, Pater Egidius Braun, der trotz seiner hohen Verantwortung jeden Sonntag die Orgel spielt und von den Ordensschwestern als seinen „besten Freundinnen“ spricht, auch nicht sagen können. Lieber Bruder Becker, lieber Bruder Bouschen, psalmodieren Sie noch ein wenig. Ich bitte unsere Kandidatin auf die Bühne. (Applaus. Becker und Bouschen ab, Auftritt Birgit Clarius)

Frau Clarius, Sie sind amtierende deutsche Meisterin im Siebenkampf. Es war nicht einfach, Sie für unsere Sendung zu gewinnen.

Clarius: „Ich habe mich schon seit langem gefragt: Was wollen diese Gottesmänner mit uns Sportlern?“ (Ein Raunen geht durch das Publikum)

Pater: (mit inquisitorischem Unterton) Heißt das, Sie sind vom Glauben abgefallen?

Clarius: (bestimmt) „Ich bin gläubige Christin. (Pause) Aber ich lasse es nicht so raushängen. Was ich toll finde, ist, daß sich die Kirche um die ethisch-moralische Seite des Sports kümmert. Ich will, daß der Mensch dabei nicht auf der Strecke bleibt.“

Pater: Aber Sie beten doch vor dem Start?

Clarius: „Ich finde es unverschämt, Gott um so eine Lappalie zu bitten. (Buhen von den Rängen, Clarius mit starrem Blick in die Kamera) Es gibt Wichtigeres für ihn.“

Pater: (schielt auf den Regieassistenten, der ihm ein großes Schild entgegenhält) Wie? Ach so, ja. Unser amerikanischer Boxfreund George Foreman sieht das allerdings etwas anders. (der Assistent wechselt das Pappschild) „Gott ist der größte Sportfan“, verkündet Foreman, „er hat uns geschaffen, um miteinander zu konkurrieren.“ Und hat Foreman nicht zehn Jahre lang als Prediger das Lob des Herrn gesungen, bevor er in den Ring zurückkehrte? (Applaus) Und hat Gott nicht seine Rechte und seinen linken Haken gestärkt und seinem Knecht erneut den Weltmeistertitel geschenkt? (Applaus)

Bouschen: (aus dem Off) „Wenn Gott einem dabei hilft, ist es eine Supersache!“ (tosender Applaus)

Pater: (beruhigt seine Gemeinde) Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, über diesem theologischen Disput nicht unseren letzten Kandidaten vergessen. Einen Mann, der schon mit seinem Namen den Herrn preist. Ich begrüße Heiko Herrlich. (Applaus, Auftritt Heiko Herrlich) Herr Herrlich, Sie spielen in der Bundesliga bei Mönchengladbach. Jesus hat seine Jünger immer zu zweit in die Welt geschickt; so vertreten Sie hier bei uns gleichzeitig Ihren Kollegen Jorginho. Unser brasilianischer Bruder in Christo – mit dem Sie im selben Bibelkreis waren – pflegt zu sagen: „Jesus ist mein bester Freund“. Auch der Ihre, Herr Herrlich?

Herrlich: „Jesus lebt! (das Publikum erhebt sich applaudierend) Mein Glaube hilft mir im Sport. Ich kann mit Sieg und Niederlage besser umgehen.“

Pater: Rufen Sie Gott vor einem Spiel an?

Herrlich: „Gott ist keine Wunschmaschine. Ich bete doch nicht: Schenk mir ein Tor, dann bist du wunderbar.“

Pater: Eh, nein, ich meine, ja. Gott ist keine Waschmaschine. Wie beeinflußt die Liebe des Herrn Ihr Spiel?

Herrlich: „Ich versuche mich im Griff zu haben und nicht zurückzutreten.“

Pater: Ihr Freund Jorginho scheint mit der Nächstenliebe Probleme zu haben. Oben winkt er mit der Bibel, und unten ...

Herrlich: „Er ist ein Holzer, aber trotzdem Christ! Soll er deshalb nicht mehr auf den Fußballplatz gehen?“

Pater: Nein, Nein! Der Herr spricht: Kämpfet den Kampf des Glaubens.

Herrlich: „Eben. Jorginho schont seine Gegner nicht. Aber er spendet sein ganzes Geld, für die Straßenkinder in Rio. Dafür kann man als Bundesligaspieler auch mal einen Bluterguß von ihm in Kauf nehmen. Das ist damit gerechtfertigt.“ (Applaus)

Pater: (schreitet den Bühnenrand ab) Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Wir schreiten zum Finale. Unser Ehrengast wird gleichzeitig unser Schiedsrichter sein. Klaus Peter Weinhold, Sportpfarrer der evangelischen Kirche in Deutschland. (Applaus, Auftritt Peter Weinhold) Herr Weinhold, Kirche und Sport. Wollen Sie unserem Publikum erklären, wie das zusammengeht?

Weinhold: „Uns als Kirche geht es um ein anderes Sportverständnis, um ein nichtkommerzielles, sondern ganzheitliches Ereignis. Im Sport und im Glauben kommt man an Grenzbereiche, wo man mit dem normalen Willen nichts mehr erreicht. Sport ohne Seele bliebe genauso herzlos wie ein Glauben ohne körperliche Erfahrung.“

Pater: (Die Sportler sind währenddessen aus den Kabinen zurückgekehrt) Die Seele haben wir bei unseren Kandidaten bereits getestet, lasset uns nun zur körperlichen Prüfung schreiten. Die Mitspieler legen bitte die Bibel aus den Händen, nehmen dieses runde Leder und versuchen, es in eines der beiden Löcher in der Torwand da vorne zu schießen. Jesus spricht: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als der Ball da hindurch, aber mit Gottes Hilfe wollen wir es versuchen. (Es werden Lederbälle ins Studio gerollt) Jeder hat einen Schuß. Herr, erbarme dich!

Publikum: Christus, erbarme dich!

* * *

Und sie schossen und schossen, doch der Herr hatte sein Auge abgewandt, und niemand traf. Nach der dritten Verlängerung mußte die Live-Übertragung abgebrochen werden. Wer der gottesfürchtigste Sportler des Jahres ist, weiß Gott allein.

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