: Die Konkurrenz schläft nicht
■ 20 Musicals verkraftet der Markt – Bremen müht sich, nicht Letzter zu werden
Keine andere Großstadt hat solch einen schönen Stadtkern wie Bremen, meint Michael Göbel, Geschäftsführer der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft. „Stumm vor Glück“ stünden die TouristInnen im Schnoor. Doch abends entfliehen sie Bremen. Entsprechend niedrig ist die Hotelauslastung: 38 Prozent. So was wie den Schnoor als Abendunterhaltung für die Massen, das wäre was! Ein Musical als Touristenmagnet, von dieser Idee ließen sich die ParlamentarierInnen im Frühjahr schnell überzeugen. Zumal die Hanseatische Veranstaltungsgesellschaft den deutschen Musicalmanager Friedrich Kurz an der Angel hatte. Schon im September 1996 sollte sich im ehemaligen „Showpark“ der Vorhang heben, im Herbst '94 wollte man der Öffentlichkeit den Titel präsentieren. Nu isses tiefster Winter, und alles ist noch völlig offen.
Dabei muß sich Bremen sputen: die Konkurrenz schläft nicht. Jahrelang gab es nur drei Dauer-Musicals in Deutschland (Cats, Phantom der Oper, Starlight Express), nun explodiert das Angebot geradezu: 1993 hatte „Shakespeare & Rock 'n' Roll“ Premiere in Berlin, 1994 „Buddy Holly“ in Hamburg und „Miss Saigon“ in Stuttgart, 1995 kommen fünf weitere Musicals in Köln, Aachen, Offenbach, Niedernhausen und Duisburg auf den Markt, 1996 eins in Essen. Macht zwölf deutsche Dauermusicals.
Noch reißen sich die Touristik-Busunternehmen um Muscialkarten. Noch reden MarktbeobachterInnen vom Bedarfsweckungseffekt – mehr Angebote hecken noch mehr Nachfrage. „Starlight Express“ ist nach sechs Jahren Laufzeit immer noch auf ein Jahr im voraus ausverkauft. Dazu kommen die für Musicals typischen „Heavy user“, die in ihr Musical einmal pro Woche pilgern. Doch irgendwann wird auch der Musical-Markt gesättigt sein, Insider schätzen: bei 20 Musicals. Dann müßten zehn Prozent der Bevölkerung einmal im Jahr in ein Musical gehen. Das wievielte wird Bremen sein? „Wir möchten ungern die 20. sein, wir wollten eigentlich mal die 12. sein, aber das wird jetzt wohl ein hartes Rennen“, gibt der oberste Veranstalter Bremens, Michael Göbel, unumwunden zu.
Anfang Januar soll deshalb endgültig entschieden werden: entweder man hat bis dahin den Partner für ein Dauermusical gefunden, oder es werden sofort Tourneemusicals angeheuert. Auf jeden Fall soll Bremen sich spätestens im Frühjahr 1997 als Musicalstadt präsentieren – ein halbes Jahr später als ursprünglich geplant.
Ein Dauermusical wäre den Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft natürlich lieber als Tourneemusicals – doch große Komplettanbieter, die ein Musical in der Tasche haben, es inszenieren und dazu noch vermarkten, gibt es nur zwei in Deutschland: Deyhle und Kurz. Deyhle will nicht, weil er schon mehrere Musicals in Mache hat; und mit Kurz hat sich Bremen im Sommer überworfen. Weniger, weil Kurz im Juni 94 mit seinem „Shakespeare & Rock 'n' Roll“-Musical in Berlin 850.000 Mark Verluste einfuhr und Gagen nur teilweise bezahlen konnte. Vielmehr überwarf sich Bremen mit Kurz, weil er neue Forderungen auf den Tisch geknallt hatte: Bremen sollte nicht nur die Markthalle umbauen, wie vereinbart, sondern auch noch auf Miete verzichten und die Betriebskosten zahlen. Nein, nein, nein, von den ursprünglichen Bedingungen will Göbel keinesfalls herunter.
Erfahrene Komplettanbieter gibt's also nur zwei. Doch allmählich wagen sich auch neue, kleine Firmen auf den deutschen Musicalmarkt. Mit fünf von ihnen spricht die Hanseatische Veranstaltungsgesellschaft jetzt ernsthaft. Eine könnte im Januar den Zuschlag bekommen. Als künstlerischen Berater hält man sich dabei einen Menschen, der gerade in Corny Littmann's Hamburger Theater eine Show laufen hatte.
Wenn's denn so weit kommen sollte, erhofft sich die Stadt 1.200 ZuschauerInnen pro Abend (pro Jahr macht das einmal die ganze Bremer Bevölkerung). Dafür will die Stadt auch investieren: Für die Entkernung des Show Park rechnet man mit maximal 50 Millionen, eigentlich weniger. (Zum Vergleich: Die Neue Flora in Hamburg kostete 100 Millionen Mark.) Über Mieteinnahmen und Steuern will die Stadt dieses Geld innerhalb von zehn Jahren wieder in der Kasse haben. Deshalb schließt man mit dem Betreiber einen Langfristvertrag ab – nicht unter 10 Jahre – und verlangt eine Risiko-Bürgschaft.
Und noch eine Befürchtung will Michael Göbel skeptischen BremerInnen nehmen: Zwar sind die erfolgreichen Webber-Stücke ausverkauft, und Bremen wird sich wohl auf dem New Yorker Musical-Markt eindecken oder ein hiesiges Manuskript kaufen müssen – doch ein Stück über die Vier Stadtmusikanten wird es nicht geben. „Um Gottes Willen, das war ein Gerücht“, sagt Göbel. Ein Bezug zur Bremer Tradition (Beat-club, Schiffahrt...) gefiele ihm allerdings schon.
cis
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