piwik no script img

Zu scheußlich für die 70er

■ Frei nach Christian Anders: Das Trashical ,,Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ gastierte im Modernes

Wenn man sich heute an die 70er Jahre erinnert, tut man ihnen zumeist Unrecht. Unzählige Revival-Parties wollen glauben machen, daß die Öffentlichkeit damals jede Scheußlichkeit begeistert angenommen hat. Dagegen spricht allerdings, daß das grausige Musical „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ von Christian Anders, das 1973 unbemerkt auf Platte erschien, niemals zur Aufführung kam. Hierfür bedurfte es schon des Berufsgecken Thomas Herrmanns, der sich bereits als skrupellos genug erwiesen hatte, zweifelhafte Späße wie Karaoke nach Deutschland zu importieren. Er fand das Konzeptalbum auf dem Flohmarkt und brachte es als Voll-Playback-Show im grotesk überzogenen 70er-Design auf die Bühne. Ein Musical war es nun natürlich nicht mehr. „Trashical“ sollte fortan genannt werden, was am Freitag als Gastspiel im Modernes zu sehen war.

Herrmanns selbst spielt die Hauptrolle mit dem etwas seltsamen Namen Taro Torsay (,,mein Vater war Italiener“). Taro hat's nicht leicht. Als kleiner Bub in Chicago wird er Zeuge, wie seine Mutter von einem Jahrmarktskarussel überfahren wird. Danach gerät er selbstredend auf die schiefe Bahn, wird Rock-Star, macht falsche Freunde und verleugnet die alten, und wird schließlich von seiner verzweifelten Ex-Freundin in den gemeinsamen Tod gefahren. Und das war's auch schon. Die unzählige Male gehörte Geschichte vom schnellen Ruhm und seinen Schattenseiten.

Anders' haarsträubend ernst gemeintes Stück ist von der reißerischen Pseudo-Moralität der Reportage-Filme aus den 70ern, und die Dialoge – ebenfalls im Original-Playback – haben den Charme von ,,Europa“-Hörspielkassetten. Jederzeit könnte Commander Perkins vorbeifliegen und alle zum Mond schießen. Die Songs reichen vom erwarteten Schlagerschmalz bis zu überarrangierten Disco-Nummern, wie sie in der Vorstellung einer deutschen Schlagerseele in das pulsierende Chicagoer Nachtleben gehören. Da darf auch die deutsche Fassung von ,,In the Ghetto“ nicht fehlen, hier ,,In Chicago“ genannt.

Egal, wieviele Wirrköpfe dem weit verbreiteten Aberglauben anhängen, man könne etwas so schlecht machen, daß es „irgendwie schon wieder gut sei“ - 90 Minuten lang ist das Weltbild des Christian Anders einfach zermürbend.

Für die gute Unterhaltung in dieser Inszenierung sorgen die Darstellerlnnen. Thomas Herrmanns singt seine Nummern förmlich mit Armen und Knieen, und Sandra Steffl verstrahlt als Ghetto-Brumme Jane die ulkigste Erotik seit Traci Lords. Leider verläßt sich das Ensemble in der zweiten Hälfte nicht allein auf das gelungene Posieren zur Tonkonserve, sondern baut live und zu leise gesprochene Unterbrechungen ein, deren Komik auf wackligen Beinen steht, wodurch der anfängliche Spaß geschmälert wird. Ein Vergleich zum „Kult-Stück a la –Rocky Horror Show–“, wie Herrmanns ihn gerne hört, ist also gewagt. Zwar gab es auch in der Bremer Aufführung vom ,,Zug nach Nirgendwo“ mitsingende Fans, aber die waren eindeutig instruiert, während ,,Rocky Horror“ zumindest anfangs ein Selbstläufer war.

Jetzt dürfen wir warten und hoffen, daß die Menschheit irgendwann begreift, daß die 90er es per HipHop- und Grunge-Look in der Hälfte der Zeit geschafft haben, viel mehr Modeopfer zu gebären als die gesamten 70er. Vielleicht gibt es in 20 Jahren ein Grungical namens ,,Smells Like Generation X“. Gesetzte Mitvierziger werden sich zur Premiere wieder Zufalls bärte stehen lassen, sich in Schlumpfmützen und Adidas-0utfits zwängen und sich amüsiert fragen, warum sie das mal ernst gemeint haben.

Andreas Neuenkirchen

Weitere Vorstellungen: 2. und 3. 2., 20 Uhr, Modernes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen