■ Das Portrait: Anita Gradin
Beim EU-Parlament hat sie sich unbeliebt gemacht. Schwedens Kommissionsvertreterin Anita Gradin fiel bei der Befragung durch die ParlamentarierInnen vor allem durch offensichtliches Ausweichen vor allen konkreten Fragen auf. Dabei ging ihr aus ihrer bisherigen politischen Karriere der Ruf voraus, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und Klartext zu reden.
Schwedens „eiserne Lady“ Foto: Reuter
Auch ihr erster Brüsseler Auftritt im Herbst, als die Verantwortungsbereiche der künftigen KommissarInnen verteilt werden sollten, ließ keinen Zweifel daran, daß Schwedens Vertreterin nicht als schüchterne Bittstellerin auftreten würde. Ursprünglich hatte Jacques Santer für sie das unattraktive Feld der internen Verwaltung und der Personalpolitik vorgesehen. Sie lehnte dankend ab: Entweder erhalte sie die Verantwortung für die Zusammenarbeit auf dem Rechtssektor, die Konsumentenpolitik und die Gleichberechtigung, oder sie werde wieder abreisen und die ganze Veranstaltung platzen lassen.
Sicher auch deshalb hatte Schwedens Regierungschef Ingvar Carlsson die in Arbeitsmarkt-, Flüchtlings- und Gleichberechtigungspolitik schon mit ministerieller Erfahrung ausgestattete Anita Gradin für Brüssel ausgewählt. Und nahezu uneingeschränkt konnte Gradin ihre Vorstellungen durchsetzen: Schwedens „eiserne Lady“ erhielt die Verantwortung für die rechtliche Zusammenarbeit in der EU, den sogenannten „dritten Pfeiler“ der Union. Damit war sie zuständig für so kontroverse Fragen wie eine gemeinsame Flüchtlingspolitik, Verbrechensbekämpfung und Drogenpolitik.
Daß sie vor dem Parlament die Antwort darauf schuldig blieb, wie sie diesen dritten Pfeiler zum integrierten EU-Bestandteil machen wolle, liegt daran, daß hier die EU-Kommission – noch – keine Machtbefugnisse hat. Gradin muß ihr Amt tatsächlich mit dem beginnen, was ihr das Parlament als „Ausweichen“ vorwarf: Verhandlungen mit den beteiligten Regierungen. Und wenn Gradin zum Unmut der ParlamentarierInnen verkündete, die kompromißlos restriktive skandinavische Drogenpolitik auch in Brüssel weiterbetreiben zu wollen, dann löst sie damit nur ein Versprechen ein, das für das Ja zur EU in Finnland und Schweden entscheidend war.
So könnte sich täuschen, wer ihren Auftritt als Schwäche interpretiert: Nicht umsonst hat sich Gradin in Schweden den Ruf eines politischen Schwergewichts erworben. Reinhard Wolff
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