■ Normalzeit: Engel am Krankenbett
Jetzt werden die Arbeitslosen mehr und mehr auch in Westberlin in Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (BQGs) „zwischengeparkt“. In der DDR hatten die Arbeitsämter zunächst 400.000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) „aus dem Boden gestampft“ (Norbert Blüm). Diese „Projekte“ und „Sozialbetriebe“ des Zweiten Arbeitsmarktes sollten „Brücken“ (Regine Hildebrandt) für einen neuen Ersten Arbeitsmarkt sein. Mittlerweile richten sie sich aber eher „auf Dauer“ ein und wollen sogar den „normalen Betrieben“ Konkurrenz machen. Einzig im Mansfeld-Kombinat bei Magdeburg verschob man nicht vom Ende der Belegschaftshierarchie her immer wieder überflüssige Mitarbeiter in die BQGs. Dort wurden vom Betriebsratsvorsitzenden und einem westdeutschen Geschäftsführer die Bereichsleiter entlassen, die sich daraufhin mit ihren Leuten und einem stattlichen staatlichen Zuschuß ausgründeten. Lange Zeit wollte der liberaldemokratische Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts dabei nicht mitspielen: das sei „Marktwirtschaft von oben“, die so nicht funktionieren könne. Als es wider Erwarten gut lief, veröffentlichte er darüber eine Broschüre: „Das Mansfelder Modell“.
Das „Treuhand-Modell“, die Gründung von insgesamt vierhundert BQGs, so behauptete gerade der DGB, sei „auf Initiative der Gewerkschaften“ zustande gekommen. Vor allem haben sie ihre überflüssigen Kader in die dauerarbeitsplatzgesicherte Verwaltung der BQGs, die Service- Gesellschaften, abgeschoben, aber an der DGB-Mitteilung ist was dran, wie der Oberschöneweider Betriebsrat Peter Hartmann erfuhr, als er mit einer Kollegin in die Treuhand-Zentrale bestellt wurde: „Renate Mudrack zog ihr kleines Schwarzes an, und ich war auch entsprechend gekleidet. Als wir ankamen, war der Konferenzsaal bereits voll, sogar Privatisierungsdirektor Sinnecker, Privatiseur Graf von Bismarck und unser IG-Metall-Bevollmächtigter Masson waren da. Die Herren im grauen Anzug stellten sich uns alle vor, bis auf einen, im weißen Pullover, den ich für einen Journalisten hielt. Es kam kein Gespräch in Gang. Plötzlich ging der Mann im weißen Pullover raus. Kurz darauf bat er den IG-Metaller ebenfalls raus, dann Dr. Sinnecker, dann von Bismarck usw., einen nach dem anderen, bis Renate und ich nur noch alleine im Saal saßen. Schließlich kamen alle zwölf Herren wieder rein, der Pullover- Mann fing sofort an, wie ein Maschinengewehr auf mich einzureden, er duzte uns:
,Also paßt auf, das mit dem Investor, den ihr gefunden habt, das läuft so nicht, der will zu viel Geld. Ich schlage euch ein anderes Programm vor. Das gibt es in der Bundesrepublik überhaupt noch nicht. Ich habe das denen eben im Flur aus den Rippen geleiert. Wir machen also drei Millionen locker, die IG Metall verwaltet sie. Und da wird dann jeden Monat was zugeschustert. Und ihr laßt euch zum 31.3. kündigen. Und muckt vor allen Dingen nicht auf. Das geht dann also friedlich über die Bühne. Ihr sucht euch eine Beschäftigungsgesellschaft nach Wunsch. Da könnt ihr euch umschulen oder aber die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Unter Umständen reicht das Geld anderthalb Jahre, da macht ihr zwei Tariferhöhungen mit, und dann geht ihr mit einer guten Bezugsbasis in die Arbeitslosigkeit. Ich habe bereits über 20.000 Leute so oder so ähnlich untergebracht und bin damit der größte Arbeitgeber in Sachsen geworden...‘ Ich habe ihn dann unterbrochen: Wir wollen nicht in den Zweiten Arbeitsmarkt, über 60 von 160 Mitarbeitern sind bereits fünfzig Jahre und älter... ,Ja, deine Stories, die kennen wir alle, das ist Schnee vom vergangenen Jahr. Wir wollen nach vorne blicken. Wenn ihr da jetzt nicht mit meinem Vorschlag mitgeht und womöglich noch ein bißchen Randale macht, dann habt ihr vielleicht eine Woche lang eine gute Presse, aber dann spricht kein Schwein mehr über euch. Und du kannst einen Hungerstreik machen, so lange, wie du willst. So, hier habt ihr meine Visitenkarte, ich muß mich beeilen, mein Flieger geht gleich.‘ Das war, wie wir dann der Karte entnahmen, der Arbeitsrechtler Jörg Stein, der sein Büro bei der IG Metall hat und auch von der Gewerkschaft bezahlt wird.“
Nachdem sich noch einige weitere Betriebsräte über den schwäbischen Arbeitsrechtler beklagt hatten, sprach ich den beinahe parteienverräterischen Gewerkschaftsanwalt (der allein für den Sozialplan einer „normalen Entlassungswelle“ 80.000 Mark kassierte) direkt an.
Sein laut Spiegel „unkonventionelles Vorgehen“ erklärte er so: „Das ist im Moment im Osten wie in Somalia. Da in der Sprechstunde bei einem Arzt können Sie auch nicht drauf achten, ob der Verband richtig sitzt oder daß das alles aseptisch zugeht.“ Im übrigen seien die Betriebsräte nicht die Patienten, die säßen wie er „auch nur am Krankenbett“. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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