: „Das Ungeborene hat ein Recht auf Leben“
■ FDP-Fraktion berät heute neuen Gesetzentwurf zum Abtreibungsrecht
Berlin (taz) – Kurz vor der Bundestagswahl wurde sie vertagt, jetzt steht sie wieder auf der Tagesordnung – die Reform des Abtreibungsrechts. Heute wird die Fraktion der FDP über einen eigenen Entwurf zur Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen beraten. SPD und Grüne hatten schon Ende letzten Jahres entsprechende Entwürfe vorgestellt. Daß eine Frau, die sich in den ersten zwölf Wochen ihrer Schwangerschaft zur Abtreibung entscheidet, sich nicht strafbar macht, ist in allen Fraktionen mittlerweile Konsens. Voraussetzung für den Schwangerschaftsabbruch bleibt jedoch, so legten es die Richter des Bundesverfassungsgerichts 1993 fest, ein vorheriges Beratungsgespräch. Und hier beginnen die unterschiedlichen Interpretationen des Karlsruher Urteils. Während die Grünen Wert darauf legen, daß die Beratung immer „ergebnisoffen“ geführt werden soll, schreibt der Gesetzentwurf der SPD ein Ziel vor. Die „Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage“ habe sich „von dem Bemühen leiten zu lassen, der Frau Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen und dadurch zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen“. Dabei dürfe sie jedoch weder einschüchtern, belehren oder bevormunden. „Aufgabe der Beratung“, so heißt es weiter, „ist die umfassende medizinische, soziale und juristische Information der Schwangeren.“
Dieser „starke Informationscharakter“ geht den Liberalen zu weit. Heinz Lanfermann, bei der FDP seit Oktober zuständig für die neuerliche Regelung des § 218, geht daher davon aus, daß der SPD-Entwurf „nicht verfasssungskonform ist“. Ein Argument, das die Reform des Abtreibungsrechts schon seit den 70er Jahren beharrlich begleitet. Der neue Gesetzentwurf der FDP schießt prompt über jegliche Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Dort heißt es jetzt: Die Beratung „soll der Frau helfen, eine eigenverantwortliche und gewissenhafte Entscheidung in dem Bewußtsein zu treffen, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb (...) ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen zur Vermeidung einer außergewöhnlich schwerwiegenden, unzumutbaren Belastung in Betracht kommen kann“.
„Einer solchen Formulierung können wir nicht zustimmen“, kommentiert Inge Wettig-Danielmeier (SPD) diese Passage, sie sei „weder wünschenswert noch vom Bundesverfassungsgericht gewollt“. Daß die FDP „ihre eigenen liberalen Grundsätze ständig wieder zur Disposition stellt“, erzürnt die Sozialdemokratin, die schon 1992 maßgeblich an dem Zustandekommen des mit der FDP gemeinsam ausgearbeiteten Gruppenantrags zum § 218 beteiligt war. Für die anstehende Reform sieht Wettig-Danielmeier wieder einmal „mühseligen Verhandlungsbedarf“. In anderen bisher strittigen Punkten dagegen ähnelt der vorgesehene Entwurf der FDP dem der Sozialdemokraten. So sollen ärztliche Honorare für einen Abbruch verbindlich in der Gebührenordnung festgeschrieben werden.
Bei der Frage der Finanzierung rücken die Liberalen von ihrer Position ab, daß Frauen in Härtefällen Unterstützung beim Sozialamt suchen müssen. Sie plädieren wie die SPD dafür, daß Frauen, deren Nettoeinkommen 1.900 Mark und weniger beträgt, (für die neuen Länder gilt ein Satz von 1.700 Mark), künftig den Schwangerschaftsabbruch von der Krankenkasse finanziert bekommen, so daß der lästige Gang zum Sozialamt entfällt. Für jedes unterhaltspflichtige Kind soll sich die Einkommensgrenze um 400 Mark erhöhen. Die Krankenkassen wiederum sollen das Geld, entsprechend eines noch zu schaffenden Leistungsgesetzes, von den Ländern zurückerstattet bekommen. Die SozialdemokratInnen sehen hier eine Finanzierung durch den Bund vor.
Auch was die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Strafbarkeit des familiären Umfelds betrifft, scheinen die Liberalen auf SPD-Kurs einzuschwenken. Das Karlsruher Urteil hatte zu bedenken gegeben, daß Familienangehörige oder der künftige Vater eine Frau zur Abtreibung nötigen könnten, und verlangte daher entsprechende Strafvorschriften. Für derartige Tatbestände, so Inge Wettig-Danielmeier, reiche der Nötigungsparagraph im Strafgesetzbuch vollkommen aus. „Die FDP“, erläutert Lanfermann, „sieht keine Möglichkeit, das innerhalb des Abtreibungsrechts zu regeln.“ Daher wolle sie eine erneute Anhörung im zuständigen Ausschuß des Bundestags zur Frage der Strafbarkeit fordern.
Nachdem Lanfermann im Oktober aus dem nordrhein-westfälischen Landtag in den Bundestag wechselte, scheint sich da ein Sinneswandel vollzogen zu haben. Denn noch im Dezember 1993 hatte er während einer Landtagsdebatte vollmundig proklamiert: „Derartige Strafbestimmungen fordert das Karlsruher Urteil ausdrücklich. Was ist denn dagegen einzuwenden, daß eine Nötigung zum Abbruch, begangen von einer Person aus dem nächsten Umfeld der Schwangeren, strafbar sein soll?“ Karin Flothmann
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