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Der Januskopf des Thespis

Zwei Berliner Jahrhundert-Schauspieler aus Kiel, deren Leben und Kunst kaum unterschiedlicher hätten sein können: Ernst Busch wäre morgen 95 Jahre alt geworden, Bernhard Minetti feiert am Donnerstag 90. Geburtstag  ■ Von Dirk Nümann

Zwei Männer, ein Beruf: Schauspieler. Nein, mehr als Schauspieler: zwei Verwandlungskünstler, Künstlerpersönlichkeiten, die der deutschen Bühne dieses Jahrhunderts Gesicht, Stimme, Haltung und Charakter und Charakterlosigkeit gaben; die Geschichte machten, aber auch von der Geschichte gemacht wurden.

Genies, zweifellos, die keineswegs als Freunde ihren nicht immer geradlinigen Weg durch die Zeitläufte gingen, aber auch nicht als Feinde; die vieles gemeinsam hatten, gleichwohl mehr Trennendes. Zwei Gesichter, eine Geschichte? Der Januskopf des Thespis.

Der eine wurde geboren „in der Morgenröte des 20. Jahrhunderts“, am 22. Januar 1900 in Kiel. „Getauft mit Elbewasser“, Vater Maurer, SPD-Genosse, Volksschule, Sozialistische Arbeiterjugend, Lehre auf der Germania-Werft, Maschinenbauer, „aktiv beim Matrosenaufstand“; das erste Mal in Kiel auf der Bühne, was er stolz in die Welt posaunte: „Ick bün am Stadttheater.“

Der andere: Am 28. Januar 1905 geboren, auch in Kiel, in einer „zeitgemäß nationalen“ Bürgerfamilie. Vater Architekt, Abitur, deutschnationaler Jugendbund, einige Semester Germanistik und Theaterwissenschaft, Schauspielschule; erste Erfahrungen als Statist beim Kieler Stadttheater: „Für die Eltern ein Schock.“

Beide gehören zur Generation Ex – Nachexpressionismus: Zu jung fürs Schlachtfeld, gleichwohl nicht zu alt, um durch Krieg und Revolution, Aufbruch und Niederlage geprägt zu sein. Das stärkte sie im Hang zum Aktivismus und Nihilismus. Beide waren beziehungsweise sind groß gewachsen, dünn, blond, fanatisch, eigensinnig – nordisch hätte man früher gesagt: Ein jungenhafter, etwas lauter, direkter Schlacks mit einem leicht spöttisch schiefen Lächeln der eine; egozentrisch selbstbewußt, sich ins Verträumte, Geniehafte, Künstlerische stilisierende der andere. Ernst Busch und Bernhard Minetti. Beide kämpften sich etwa gleichzeitig von der Provinz hoch in die Theaterhauptstadt Berlin. Die Ernst-Busch-Legende besagt, daß er schon früh, 1927, bei Piscator arbeitete, mit Reinhardt, Brecht; aber das waren nur kurze Begegnungen in kleinen Rollen; einen Namen machte er sich erst als Sänger von Weinert-, Tucholsky-Liedern, durch Kabarett, Film. Seine Schauspielerkarriere begann gerade, als sie auch schon durch Hitler beendet wurde.

Die Bernhard-Minetti-Legende erzählt vom letzten Dinosaurier aus dem großen Berliner Theater der zwanziger Jahre; doch als ihn Leopold Jessner engagierte, war dessen große Zeit schon abgelaufen. Minetti wurde erst zu dem Minetti mit Hitler.

Busch mußte selbstverständlich nach dem Reichstagsbrand fliehen. Der rote Sänger war das Zugpferd von Massenveranstaltungen: Einheitsfront – Thälmannlied. Links, links, links. Busch forderte zusammen mit Hanns Eisler 1934 im Gegenangriff angesichts von 40 Toten, Erschießungen, Verhaftunngen auch denjenigen auf, „der nichts mit Politik zu tun haben will, alle Kräfte aufzubieten, um das entsetzliche Massenmorden zu verhindern“.

Minetti beeindruckte der brennede Reichstag wenig: „Ich mußte zur Vorstellung – ,Faust‘“. Selbstverständlich blieb er in Deutschland: „Ich habe das Politische nicht wichtig genommen. Ich war ein junger Schauspieler deutscher Sprache, der Theater spielen wollte.“ Spielen, spielen, spielen.

Während Busch in Holland revolutionäre Schallplatten verbreitete, in Moskau und Spanien agitierte, 1940 als „Hochverräter“ inhaftiert wurde, fünf Jahre in Lager und Gefängnis saß, durch eine Fliegerbombe im halben Gesicht gelähmt, spielte Bernhard Minetti im Berliner Staatstheater, mit Jürgen Fehling, mit Gustaf Gründgens, bezog in Dahlem eine Villa, und obwohl „innerlich sehr weit links“, applaudierte er Goebbels, der im Sportpalast den „totalen Krieg“ verkündete.

Minetti hat die NS-Zeit im nachhinein verklärt: Der Künstler, der sich mit dem Bösen einläßt, das er als zugehörig zum Guten durchschaut, um sich der Kunst zu retten: „Das Leben auf der Bühne: diese Wirklichkeit bestimmt mich.“ – „Das Leben, nicht die Bühne: diese Wirklichkeit bestimmte mich“, hätte vielleicht Ernst Busch geantwortet.

Gleichwohl erscheint auch dessen sozialistische Laufbahn – wenn auch in ganz anderem Grad – rückblickend vernebelt. Immerhin trat der gern „gut lebende“, als „Barrikaden-Tauber“ mehr verspottete denn verehrte Sänger erst 1945 in die Partei ein. 1953 wurde ihm vorgeworfen, dem Formalismus und Proletkult nahezustehen, woraufhin er sich auf offiziellen Veranstaltungen rar machte.

Busch blieb dennoch in der DDR, wo er 1980 starb. In den fünfziger Jahren spielte er unter Brecht, der ihn einen „Volksschauspieler“ nannte, seine Interpretation des Lapkin (aus Gorkis „Mutter“) gepriesen als „die erste große Darstellung eines klassenbewußten Proletariers auf der deutschen Bühne“. Charakteristisch auch sein Bootsmann Franz Rasch aus Friedrich Wolfs „Matrosen von Cattaro“, 1930 und 1947 gespielt: Ein junger kämpfender Proletarier, Optimismus verbreitend; die Welt ist veränderbar. Mit scharfen Gesten entstanden seine Figuren, geformt mit seiner Sprache, die Gesang war, keine psychlogische Malerei, keinen falschen Gefühle.

Minetti setzte seine Karriere ungebrochen fort im Restaurationstheater der BRD. Intendant in Kiel, Schauspieler in Hamburg, Düsseldorf, Berlin. Er gilt als großer Interpret von Beckett und Bernhard, von Verzweifelten; von Fatalismus, von Resignation; von „problematischen Charakteren“, denen er sich ganz hingibt, die er ganz „nackt“ darstellt. Dreimal spielte er den Krapp aus dem „Letzten Band“: Der Einsame, der Monomane, Worte und Vergangenheit poetisch nachsinnend, sich wie ein Gentleman von der Geschichte distanzierend.

Ernst Busch würde morgen fünfundneuzig Jahre alt werden. Er erhielt den Nationalpreis der DDR und den Leninpreis. Jahrzehntelang gab es ein Haus, das sein Andenken pflegte, bis zur Wende. Bis es geschlossen wurde, weil es, wie man sagte, zuwenig Besucher hatte. Doch der „Freundeskreis Ernst Busch“ vermutet einen Anschlag gegen das „rote Nest“ und protestierte – vergeblich. So spielte Busch posthum eine letzte bescheidene Rolle im Klassenkampf Nachwendedeutschlands.

Bernard Minetti feiert am 26. Januar seinen neunzigsten Geburtstag. Er wurde dekoriert mit dem Bundeverdienstkreuz und dem Titel „Theaterkönig“. Bis 1993 war er Ensemble-Mitglied der Staatsbühne. Dann erhielt er ein formloses Kündigungsschreiben, weil das Theater zuwenig besucht wurde. Die Bürger sammelten dagegen Unterschriften, vergeblich, und der „Geistestheaterkopf“ Minetti spielte vielleicht die größte Rolle seines Lebens: ein von der Politik gebeuteltes Genie.

Eine Matinee für Ernst Busch findet morgen um 11 Uhr in den Kammerspielen des Deutschen Theaters statt, in der Schumannstraße 13a, Mitte.

Bernhard Minetti wird am 26. Januar um 19.30 Uhr im Berliner Ensemble geehrt; Bertolt-Brecht- Platz 1, Mitte.

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