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Wand und BodenMenschen am Fenster im Fenster

■ Kunst in Berlin jetzt: Chéri Samba, Mark Hipper, Daniela Comani und Rainer Sioda

Im Schaufenster der Galerie Arndt & Partner hängt derzeit ein Gemälde von Chéri Samba, das „Erbarmen mit der Prostituierten“ fordert. Falls die Huren aus der Großen Hamburger und der Oranienburger Straße um die Ecke in die Rosenthaler Straße 40/41 gingen und es sähen, wüßten sie sofort, was gemeint ist – trotz des umfänglichen französischen Textes auf der Bildtafel, der die Geschichte vom betrügerischen Kunden, der für die erbrachte Leistung nicht bezahlen will, mit allen Reden und Gegenreden erzählt.

Sambas realistischer Malstil in der Tradition der afrikanischen Friseurbilder, den er in einer Mischung aus absolut perfekter akademischer Malweise und naiv anmutender Perspektive zelebriert, läßt keinen Zweifel über den Vorgang. Doch Sambas berühmter anekdotischer Stil mit aktueller alltags-politischer Stoßrichtung ist oft allegorisch gewendet, und dann wird es zu einer spannenden Angelegenheit, hinter die Geschichte zu kommen. „Die Verlobten in Wind und Feuer“ etwa berichtet von dem Kunsthändler, der während der – von der jetzigen Documenta-Leiterin Cathérine David organisierten – Ausstellung „Les Magiciens de la Terre“ 1989 im Centre Pompidou mit allen Mitteln der Bestechung und übler Nachrede versuchte, Samba seinem Galeristen abspenstig zu machen. Ob es um den Golfkrieg, Marseille oder die Aidsgefahr in Afrika geht, der enorme Charme von Sambas Malerei liegt nicht zuletzt in ihren robusten Pointen. Sambas Galerist verspricht ihm 30 braune Riesen, wenn Samba ihm treu bleibt. Und Samba antwortet: „Ich akzeptiere..., aber ich möchte diese braunen Riesen gerne vor dem 1.September haben.“

Bis 31. 1., Mi–So 14–19 Uhr

Kinderriesen glaubt man auf den fünf Kohlezeichnungen, auf 125 x 125 cm großen Blättern, zu sehen, die Mark Hipper in der Schaufenstervitrine des Soma zeigt. Es sind irgendwie gespenstische Kinder, verschlagen oder vielleicht auch debil dreinschauend, die einen vor die Frage stellen, ob man diesen Gesichtsausdruck auch auf einem Foto kriegen würde. Harte, unerbittliche Gesichter sind es, die auch mal von einem dramatischen Filmlicht beleuchtet scheinen. So erinnert das Close-up auf Augen und Nasenpartie oder die Untersicht auf Kinn und Mund an den expressionistischen Film, den Film noir und vor allem an die Kinderkerle des neo realismo.

Wahrscheinlich ist es nur mein subjektives Mißtrauen gegen Kinder, das mich die eindrücklichen Physiognomien so sehen läßt. Vielleicht sind sie ja auch nur traurig? Und letztlich, warum bin ich mir so sicher, daß es sich bei den Porträtzeichnungen um Kinder handelt?

Bis 29. 1., tägl. 0–24 Uhr, Ohlauer Straße 38; ab 21. 1. weitere Zeichnungen bei Vostell Fine Arts, Mo–Fr 15–19, Sa 11-–4 Uhr, Niebuhrstraße 2, Charlottenburg

Menschen werden bewegt, horizontal oder vertikal, vor allem aber schnell, das ist eine Folge der Industrialisierung. Menschen sind dicht gedrängt an einem Ort, an einem anderen muß man sie suchen, auch das ist eine Folge der Industrialisierung. Daniela Comanis Videotape bei Wiensowski & Harbord ist eine Meditation darüber, die ebenso einfach wie faszinierend ist. Sie benutzt die Filmaufnahmen von Moskauer U-Bahn-Passanten, die in enggedrängtem, endlosem Strom die Rolltreppe vertikal hinabfahren als Rahmen, in den sie die menschenleeren Landschaftsaufnahmen aus dem sich horizontal fortbewegenden Transsibirien Express einblendet. Das Fenster im Fenster ließe sich als ihr Thema ausmachen, ihr Werkbegriff als ein Begriff, den wir den japanischen Mode- Designern verdanken, „multi- layered“. Ein Blickfenster wird über ein anderes gelegt: In den auf Spiegeln aufgebrachten Architekturfotos spiegelt sich notwendigerweise die reale Ausstellungssituation. Ein Blickfenster schiebt sich in ein anderes hinein: Eine Straßenansicht ist so in ein Felsmassiv montiert, daß man dieses Zusammentreffen nicht für unwahrscheinlich hält. Die Montagen heißen aber zu Recht „Fiktionen“. Es sind keine surrealen Effekte, auf die Comanis Fotoarbeiten zielen, sondern bedrohlich realistische Architektur- und Raumphantasien. Ein Fenster wird ins Fenster gestellt: Zwei zarten Gipsgebilden, die wie extrem fragile Fensterkästen aussehen, wird nicht zugemutet, das Glas zu halten. Vielmehr sind sie selbst von einem Glaskubus eingeschlossen.

Bis 12. 2., Fr–So 15–19 Uhr, Goethestraße 69, Charlottenburg

Ganz anderer Art sind die Fotoarbeiten von Rainer Sioda in der Galerie Weißer Elefant. Zum Teil extrem schmale Querformate, zum Teil fast quadratische Abzüge werden zu Sechser- oder Vierergruppen hinter einem Glas zusammengestellt: zu korrespondierenden Momenten einer endlosen passage de paysage. Die Landschaft ist keine Idylle. Die kaputten dinglichen Reste der Industriegesellschaft sind in das wuchernde Rankenwerk der Sträucher verwoben; Silo-Ruinen stehen wie denkwürdige Skulpturen in der flachen Landschaft; Röhren laufen durchs Buschwerk; verfallene Brunnenschächte machen die Erde auf. Deutlich wird, daß die bei diffusem Licht aufgenommenen Schwarzweißfotografien in ihrem Spiel von Schärfe und Unschärfe nichts als Naturstudien sein wollen. Allerdings von jemandem gesehen, der nicht mit überlegen registrierendem Blick arbeitet, sondern der sich im Rätselhaften, Verworrenen, Vieldeutigen der Naturwunder und -zeichen verliert. Ein einziges Interieur, das ein kleines Mädchen auf einem Stuhl zeigt, neben dem das Sonnenlicht den Schatten eines Fensterkreuzes auf den Boden wirft, deutet an, wem dieser Blick zu eigen ist.

Bis 28. 1., Di–Fr 11–19, Sa 15–18 Uhr, Almstadtstraße 11, Mitte Brigitte Werneburg

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