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Bremer City - kuschelig für alle

■ SPD-Parteitag debattierte City-Konzept und beschloß, was alle wollen

Was fehlt Bremen und der Bremer City? Für den Sozialwissenschaftler Bernd Szemeitzke ist das klar: „der emotionale Kuschelfaktor“. Zwar fahren viele mit ihrem Auto zum einkaufen, dort angekommen wollen „sind sie Fußgänger“, haben ein „Bedürfnis nach Langsamkeit und Sauberkeit“ und suchen „Verweil- und Ruhezonen“ mit Bänken, Brunnen und Teichen. Zu einem „Stadtparteitag“ hatte die Bremer SPD den Wissenschaftler eingeladen, er sollte - neben anderen - die parteiinterne Debatte um die City fachkundig anreichern. Für Szemeitzke ist klar: Straßenbahnschienen müssen weg vom Marktplatz und von der Obernstraße, Wasser muß aus der City in die Weser fließen, die Martinistraße muß Fußgängerzone mit Bäumen werden - Bahn und Autos in einen Tunnel.

Erstaunlicherweise widersprach dem der zweite Gast des Abends, der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes, Hermann Krauß: Nicht Kuscheligkeit, sondern „Widersprüchlichkeit“ suchten die Leute in den Großstädten, Konflikte und Toleranz - nicht zufällig gebe es in der Innenstadt keine einzige Studentenkneipe, das „Viertel“ sei für die „Kunden von morgen“ attraktiv. Bremen dürfe nicht der „Kuscheligkeit“ von Kleinstädten Konkurrenz machen und „Friede Freude Eierkuchen“ zum Leitbild machen. Krauß wollte aber nicht damit einer Drogenberatungsstelle bei Karstadt das Wort reden, sondern die Verträglichkeit von dichtem Autoverkehr und Leben in der Stadt begründen. Wenn die Menschenströme in der City um „mehrere hundert Prozent“ wachsen sollen, damit es wieder „brummt“ könne das nicht über den ÖPNV passieren. Dessen Fahrgastzahlen stagnierten seit Jahren .

Die parteiinterne Debatte in der SPD ist allerdings sehr viel weiter, als daß sie sich auf dieser allgemeinen Ebene noch beeinflussen ließe. Der Tunnel unter der Martinistraße ist „abgehakt“, sagte Bausenatorin Lemke, „das Machbare ist nicht die Untertunnelung“ - die ist schlicht nicht bezahlbar. In der derzeitigen Planungsphase ist laut Koalitionskompromuiß die Frage der Straßenbahntrasse noch offen.Aus Bonn würde nur eine eigene ÖPNV-Trasse mit 60 Prozent mitfinanziert, was den Zugang zur Weser mit neuen Hürden versehen würde, wandte Klaus Wedemeier gegen diese Idee ein. Entschieden wird eh erst nach der nächsten Wahl.

Verschoben ist auch die Frage, ob die Martinistraße für den Durchgangsverkehr durch komplizierte Abbieger-Regelungen gesperrt werden soll - da hatte sich die Neustädter Lobby in der SPD durchgesetzt, die Umweg-Verkehre in die Neustadt befürchtet. Auch als „langfristiges“ Ziel wollte eine Mehrheit der Delegierten der Unterbezirke Ost und West dies nicht in die Beschlußlage aufnehmen.

Vertagt ist auch die Frage, ob das Parkhaus Mitte dirchtgemacht werden kann und wo andere Parkhäuser entstehen können - bisher gibt es keinen Konsens über geeignete Parklätze in der Innenstadt.

Entstanden ist so ein Kompromiß-Antrag, der alle Streitfragen ausklammert und nur das wiederholt, was im Senat, in der Bürgerschaft oder in Parteigremien längst Beschlußlage ist: Die City soll für PKW-Verkehre „erreichbar“ sein, Verkehr soll aber reduziert werden. „Vor allem die Berufspendler“ sollen auf den ÖPNV umsteigen. Das ist der Ausweg aus dem logischen Dilemma. Wie, das wird sich zeigen. Mehr Einzelhandelsgeschäfte sollen entstehen, aber auch Wohnungen, das Cafe auf dem Domshof soll kommen - aber billiger, das Schulschiff soll bleiben.

„Ein Pritt-Beschluß“, meinte ein Delegierter am Rande des Sonderparteitages. Das bedeutet: Aus den vorhandenen, zum Teil gegensätzlichen, Anträgen wurden die konsensfähigen Sätze herausgeschnibbelt und zusammengeklebt - und bei nur einer Gegenstimme angenommen. Die Dissens-Punkte werden in nicht-öffentlichen Partei-Gremien verhandelt, die Regie des Parteitages hatte „Konsens“ als Thema gesetzt - mit Erfolg.

K.W.

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