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Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

...ist eine Luxusschnitte. Er lebt vorzugsweise allein, hat keine Familie am Hacken und deshalb mehr Geld zur Verfügung. Das gibt er gerne aus für jeden Dreck, Hauptsache teuer und exklusiv. Diese Botschaft ist, nach langem Vorlauf in den USA, jetzt auch bei der deutschen Werbewirtschaft angekommen. Als erste stellte diese Woche in Berlin die Koblenzer Werbeagentur Remy & Marcuse ihre diesbezüglichen Erkenntnisse vor. Danach sind schwule Männer „die neuentdeckte Zielgruppe der neunziger Jahre“ mit „hohem Markenbewußtsein“ und – „angefeuert von einem elitären Bewußtsein“ – aufgeschlossen gegenüber allem Neuen. Dem schwulen Mann fortan mit gezielter Werbung an die Hose zu gehen, und zwar dort, wo das Portemonnaie sitzt, zahlt sich gleich doppelt aus. Nicht nur daß er „konsumfreudig“ ist – er gilt auch als Vorreiter für Trends und Moden, die schon bald den Rest der Bevölkerung erfassen. Schließlich tranken Schwule als erste Perrier, Karl Lagerfeld machte den Zopf populär, und überhaupt wird jeder neue Fummel zuerst im schwulen Ghetto gesichtet. Die Szene ist – so die Werbestrategen – „für die fraktale Markenführung ein unerschöpflicher Quell an Inspiration“.

Das Luxusgeschöpf ist aber auch äußerst sensibel und kapriziös, weil arg gebeutelt und heftig diskriminiert. Selbst das weiß man in Koblenz und rät deshalb allen potentiellen Werbern: „Der Printauftritt einer Marke in Szenemedien kann durch Sponsoring-Engagements oder einfühlsame Promotionaktionen flankiert werden.“ Vielleicht ein kleines Aids-Benefiz hier und dort ein paar Mark in die Gruppenkasse, der homosexuelle Mann ist für jede Anerkennung dankbar: „Noch immer honoriert es die Schwulenszene jenen Marken, die den Schritt in die Szene tun.“ Den Zahlensalat zur Unterfütterung der PR-Soziologie hat die Agentur den Leserumfragen der beiden größten Schwulenmagazine Männer aktuell und Magnus entnommen. Remy & Marcuse soll für die ansonsten konkurrierenden Blätter im Werbeverbund aktiv werden und die Anzeigen zwischen Pin-ups und Diskri-Stories hieven. Die „Media-Daten“ selbst belegen, daß 73,4 Prozent der Leser berufstätig sind; 61,3 haben Abitur; 30,2 ein Nettoeinkommen von mindestens 6.000 Mark, und 56 Prozent leben im Single-Haushalt. Taufrisch sind diese Erkenntnisse keineswegs. Ähnliche Zahlen ergab schon 1974 die bislang bedeutsamste soziologische Untersuchung über männliche Homosexuelle in der BRD, „Der gewöhnliche Homosexuelle“ von Martin Dannecker und Reimut Reiche. Auch die Konsumfreudigkeit der Schwulen wurde damals bereits erkannt, jedoch als Ausdruck der gesellschaftlichen Außenseiterposition gänzlich anders bewertet: „Alle die Täuschungsmanöver, die anmuten, als ob Homosexuelle ihre Umwelt über die eigene Klassenlage hinwegtäuschen wollten, dürften letztlich nur von dem Motiv geleitet sein, sich selbst über die eigene Homosexualität oder wenigstens über das Inferiore an ihr hinwegzutäuschen.“ Derlei Äußerungen lieferten damals noch den theoretischen Überbau für rosa Revolten. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Den widrigen Lebensumständen begegnet man in den Neunzigern damit, sich designermöbliert darin einzurichten.

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