: "Wickeln mit Gummihandschuhen"
■ Konflikt in Rudower Kindertagesstätte um zwei VPM-nahe Erzieherinnen / Eltern richten Not-Kita bei der Stadtmission ein / Der "Arbeitskreis Neue Erziehung" als Träger muß um seinen Ruf fürchten
Der einstmals von PädagogInnen der 68er-Generation gegründete „Arbeitskreis Neue Erziehung“ fürchtet um seinen guten Ruf. Denn er wird zwei Erzieherinnen nicht los, die in einer vom „Arbeitskreis“ getragenen Integrations-Kita in Rudow arbeiten und der rechten Psychosekte „Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ (VPM) nahestehen.
Eine der beiden Frauen saß zeitweilig im Vorstand des Berliner VPM-Ablegers GFPM und zählt also sogar zu dessen Führungsmitgliedern. Zudem ist die Erzieherin faktisch unkündbare Betriebsrätin im gesamten „Arbeitskreis“, der allen Berliner Jung-Eltern durch seine kostenlos zugesandten „Elternbriefe“ ein Begriff sein dürfte.
Der in Zürich gegründete VPM, der in Berlin unter Beobachtung der „Sektenbeauftragten“ des Senats steht, fällt vor allem durch seine rigiden Positionen zu Drogen, (Homo-)Sexualität und Aids auf. Wegen angeblich drohender Ansteckung mit Aids werden in einer älteren Broschüre schon die Kleinen im Kindergarten angehalten, auf keinen Fall gemeinsame Tassen zu benutzen.
Den Eltern der Rudower Kita, in der 15 behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam erzogen werden, fiel allerdings jahrelang nichts Besonderes an den beiden VPM-Erzieherinnen auf, sie waren mit deren Arbeit zufrieden. „Ich habe mich nur gewundert, warum sie, wie ich vor Jahren selbst gesehen habe, beim Wickeln Gummihandschuhe anziehen“, erzählt ein Vater. „Und wieso jedes Kind seine eigene Tasse haben mußte.“
Doch Ende letzten Jahres entwickelt sich ein Riesenkonflikt aus eher nichtigem Anlaß. Sechs Elternpaare unterschreiben einen Brief mit der Bitte um die Aufnahme eines körperbehinderten Kindes, doch die Erzieherinnen weigern sich, aus Gründen, die diese Eltern nicht nachvollziehen können.
Seitdem, so vermuten eine Mutter und ein Vater, seien die Kinder dieser sechs Familien schlechter behandelt worden. Jedenfalls habe sich ein Kind trotz Strafandrohung geweigert, weiter in die Kita zu gehen, ein anderes habe nachts wieder eingenäßt.
Die Erzieherinnen äußern auf einem Elternabend freilich genau die umgekehrte Version: Die Kinder seien ihnen gegenüber aufgehetzt worden. Die Atmosphäre der Kita ist vergiftet und die Elternschaft in zwei Lager geteilt. Anfang Dezember entschließen sich die sechs Elternpaare deshalb, ihre Kinder nicht mehr in diesen Kindergarten zu bringen.
Sie richten eine Not-Kita bei der Berliner Stadtmission ein und betreuen dort ihre Kinder abwechselnd. Eine nervenzehrende Notlösung. Der kürzlich eingeschaltete Neuköllner Jugendstadtrat Michael Wendt (Bündnisgrüne) versucht nun, den gestreßten Eltern wenigstens vorübergehend eine Großpflegestelle zu besorgen.
Der Stadtrat hat damit erheblich schneller reagiert als der Kita- Träger. Der bereits Anfang Dezember von dem schwelenden Konflikt informierte Vorstand des „Arbeitskreises“ brauchte anderthalb Monate, um einen eindeutigen Abgrenzungsbeschluß gegenüber der Psychosekte zu fassen. In einer außerordentlichen Sitzung am 16. Januar beschloß er endlich, daß „die Ziele und Vorgehensweisen des VPM ... mit den Werten, denen sich der Arbeitskreis Neue Erziehung verpflichtet hat, nicht vereinbar sind“. Deshalb seien „geeignete Schritte und Maßnahmen“ zu ergreifen, um die ihm anvertrauten Kinder zu schützen. Im Klartext: Man sucht nach Kündigungsmöglichkeiten.
Die Sache sei nun mal außerordentlich kompliziert und habe intensiver Recherchen und Debatten bedurft, verteidigte Geschäftsführerin Gundel Hessemer die lange Reaktionszeit des „Arbeitskreises Neue Erziehung“. Anfangs hätten sie keine Ahnung gehabt, wer hinter dem VPM stecke. Außerdem sei den Erzieherinnen nichts nachzuweisen, weder übertriebene Hygienemaßnahmen noch eine schlechte Behandlung der Kinder, noch eine Rekrutierung von Eltern für den VPM. Dennoch habe man sie aufgefordert, aus VPM respektive GFPM auszutreten und gegenüber den Eltern jegliche Werbung für ihren Verein zu unterlassen.
Für die VPM-kritischen Eltern, die sich vom „Arbeitskreis“ lange Zeit ignoriert und allein gelassen fühlten, kommt dieser Beschluß zu spät. „Mir stinkt es, daß es bei dem Mangel an Kita-Plätzen nicht anders geht, aber wir werden die Plätze für unsere Kinder kündigen“, so eine Mutter.
„Eine ausgesprochen ekelhafte Situation“, findet auch Jugendstadtrat Wendt. Ob die Kita nun über den Wegfall der Platzgelder finanziell ausgetrocknet werde oder ob ihr am Ende womöglich die Betriebsgenehmigung entzogen werde – in jedem Fall sei der „Arbeitskreis“ das Opfer. taz
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