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■ Mit Rußlands Atompolitik auf du und duBis zum Anschlag

Oslo (taz) – Einen Schock erlitten die TeilnehmerInnen eines Energieseminars des Nordischen Rats: Der Staatssekretär des russischen Atomenergieministeriums war eingeladen worden, um Sicherheitsaspekte der Atomkraftwerke im nordischen Raum zu diskutieren. Statt dessen legte der Gast aus Moskau ein umfassendes Ausbauprogramm seiner Regierung auf den Tisch. Bis zum Jahre 2010 will Rußland die Kapazität der Atomkraftwerke um mindestens 30, möglichst aber mehr als 50 Prozent aufstocken.

Viktor Sidrorenko, beim Atomenergieministerium verantwortlich für den Ausbau der bislang noch staatseigenen Atomkraft in Rußland, bezifferte die aktuelle Stromproduktion auf jährlich 938 Terawattstunden (Twh), von denen die 29 Reaktoren in den neun bestehenden Atomkraftwerken 12,7 Prozent lieferten. Nach den fortgeschriebenen Prognosen für den Stromverbrauch müsse 2010 von einem Bedarf von 1.400 TWh ausgegangen werden. Die Nachfrage sei nur mit Erdgas- und weiteren Atomkraftwerken zu decken.

Der vorhandene Atompark soll offenbar bis an die Grenze des technisch möglichen augereizt werden: Alle Forderungen nach einer vorzeitigen Abschaltung zumindest der Reaktoren, die im Westen als „nicht sanierbar“ eingestuft werden, lehnte Sidrorenko ab. Das könne aus Versorgungsgründen nicht in Frage kommen, man gehe durchweg von einer Lebensdauer von mindestens 30 Jahren aus. Da die ältesten russichen AKWs aus dem Anfang der siebziger Jahre stammen, werde sich die Frage des Abschaltens frühestens in zehn Jahren stellen.

Günter Grabia von der Europäischen Entwicklungsbank EBRD gab in Oslo aktuelle Hinweise über den Bestand im „Sanierungsfonds“ für Ost- AKWs. Hierin haben sich durch Zuschüsse verschiedener westlicher Staaten bislang nicht mehr als 300 Millionen Mark angesammelt. Angesichts der Fülle der notwendigen Nachrüstarbeiten ein mehr als bescheidener Betrag. Die Bank wolle ihre Finanzhilfe daher auf die AKWs des Typs konzentrieren, die man im Westen grundsätzlich für technisch nachrüstbar hält. Was beispielsweise für alle graphitmoderierten Reaktoren – 15 der 29 russischen Reaktoren – nicht gelte. Die EBRD ist aber davon überzeugt, daß die meisten der Leichtwasserreaktoren auf ein „akzeptables“ Niveau gebracht werden könnten.

Was die Finanzierung des geplanten Atomprogramms angeht, so hofft Sidrorenko auf die Zusammenarbeit mit westlichen Atomfirmen, die an den späteren Gewinnen beteiligt werden sollen. Reinhard Wolff

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