: Klar ist, was Boris sagt
Leichte Berührungen der Fingerspitzen von Boris Becker und Michael Stich beim problemlosen Davis-Cup-Erfolg gegen Kroatien ■ Aus Karlsruhe Peter Unfried
Mit jener Gewißheit, die nur die Distanz der Geschichte zu geben vermag, kann man heute getrost sagen, daß jener ein weiser Mann sein muß, der einst vor fünf und also vielen Jahren der Menschheit jene Formel hinterlassen hat, nach der Tennis ohne Boris nicht mehr als Federball sei. Was auf den Wettstreit einzelner junger Unternehmer zutrifft, das stimmt noch ungleich mehr für jenen chauvinistischen Kampf der Völker, den der Amerikaner Dwight F. Davis einst durch Stiftung einer Salatschüssel initiierte.
„Es ist schwer zu erklären“, hat längst auch der DTB-Präsident Claus Stauder einsehen müssen, aber „mit Boris Becker hat man einfach eine andere Veranstaltung.“ Der nämlich, hat die Faz freudig mitkriegen dürfen, macht „die Tennisländerspiele zur nationalen Sache“. Verborgene, unterdrückte, in jedem Fall große Gefühle werden frei, Empfindungen kollektiven Taumels, die sich ausdrücken in dem einen Wort: Boris. Weil man sich für so etwas aber nicht bezahlen läßt, war die Erleichterung vor der ersten Runde der Davis-Cup-Saison 1995 groß, daß der Spender von Heil und Freude nicht mit Millionen dazu geschmiert werden mußte.
Ist mithin alles gut seit dem Karlsruher Wochenende? Nun: nicht ganz. Oder, um ehrlich zu sein: überhaupt nicht. Zu geschäftsmäßig, allzu ökonomisch, präzise, effektiv und kalkuliert hat man den Gegner Kroatien abgefertigt. Da war nicht viel mehr, als daß zwei Weltklassespieler (Becker und Stich) gegen einen nicht ganz gesunden Weltklassespieler (Ivanisevic) und eine Nummer 329 (Hirszon) gewannen, weil, trotz penetranter Beteuerungen beider Seiten, daß der Davis Cup Davis Cup sei, etwas anderes kaum hätte rauskommen können.
Nun mag man mit einigem Recht darauf verweisen, die Spiele seien von eher nebensächlichem Charakter. Ungleich spannender die Frage, nach der Konsistenz jener Teilchen, die zwischen den Spielern Stich und Becker sich bewegen. Da läßt sich sagen, daß Stich der Meinung ist, man habe im Doppel „sehr gut harmoniert“. Unstimmigkeiten habe man „in irgendeiner Weise keine gehabt“. Auch Spieler Becker fand alles „sehr angenehm“. Merkte aber an, daß „man noch besser spielen“ könne.
Das trifft insbesondere auf ihn selbst zu. Die Aufgabenverteilung des Rechtshänder-Superdoppels sah zwar ihn auf der Chef-, also Vorhandseite, doch früh zeigte sich, daß Assistent Stich für die spektakulären Punkte zuständig zu sein hatte. Auch übrigens für die weniger spektakulären. Eigentlich im Prinzip für so gut wie alle. Wenn Becker etwas stark machte, so war es mit unpräzisen und Verlegenheitsbällen das kroatische Doppel. Egal, ihn danach zu fragen, hat keiner gewagt. „Und“, hat er postuliert, „wir waren immer noch gut genug, in drei Sätzen zu gewinnen.“ Schauen wir auf das Ergebnis: Tatsächlich: 6:4, 7:6, 7:5. Gesagt werden aber darf: Daß der Anteil des Michael Stich am frühzeitigen Erfolg ungleich höher einzuschätzen ist als jener des (nach Stichs Versagen beim jüngsten Halbfinale) eigens für die Siegpunkte zurückgeholten Becker.
Stich war es schließlich, der den Weltranglistenfünften Goran Ivanisevic vorentscheidend geschlagen hatte, danach aber vorgeblich keine Genugtuung, ja „nichts von alledem“ verspürte. Allein mußte der vormalige Chef die Karlsruher Woche herumbringen, nur der Adjutant Karsten Braasch blieb ihm, während Becker mit Familie, Clan und Thränhardt im Ramada residierte, auf einer Etage zwar mit dem Rest, aber eben in seiner Welt.
Lange hatte der Mann nicht mehr mitgemacht, seit 1992 nicht mehr. Derweil hat man den Cup ein drittes Mal gewonnen durch Stich. „Aber“, sagt und postuliert Becker, „in den zweieinhalb Jahren hat sich nichts groß verändert.“
Es hatte. Doch nun ist, auch auf den Pressekonferenzen jeder wieder an seinem Platz. Erst kommt Becker, dann Stich, schließlich Herr Nicola Pilic, Teamchef, in dem, wie Ex-Profi Jürgen Faßbender findet, „manche nur noch einen Handtuchträger sehen“. Ja was denn mehr? In den Pausen, sagt Becker nonchalant, unterhalte man sich mit dem Mann, der ansonsten einsam auf seinem Stühlchen zu sitzen hat. Manchmal, sagt Becker, „auch über Tennis“.
Nun es ist nicht die schlimme Woche geworden, die Pilic befürchtet haben mag. „Ich muß Sie enttäuschen“, hat er behauptet, und das wird sogar stimmen. Vom ersten Moment, sagt er glücklich, „hatte ich ein gutes Gefühl, und das hat sich bestätigt“. Keine Händel, kein Ärger mit den Jungunternehmern, „kein Problem“, das hat dem strammen Kroaten prima gefallen, „wer um 9 Uhr spielt und wer um 10.30 Uhr“. Deshalb wurde nicht gedroht, randaliert oder dergleichen, „Da,“ sagt Pilic, „war alles klar.“ Was prima ist und sicher auch in Zukunft so gehandhabt werden wird.
Nun teilt Boris Becker mit, „für die nächste Runde kann ich noch nichts sagen“. Braucht er auch nicht, natürlich, das ist ja das Klare!. Schön zu hören aber ist, daß es auch „ganz klar ist, daß ich spielen will“. Sonst, argumentiert der Münchner, „hätte ich in der ersten Runde nicht gespielt.“ Hätte er auch nicht, wenn er sich durch ungeschicktes Lavieren nicht in Zugzwang gebracht hätte. Jedenfalls heißt es nun abwarten, was Herr Meyer-Wölden, Beckers Anwalt, noch zu sagen hat, und zusehen, daß ein zartes Pflänzlein Abneigung durch unnötige Pflege nicht zu wachsen beginnt. Bisweilen, das hat man im Doppel mit großer Freude sehen dürfen, da berührten sich ganz sacht die Fingerspitzen der Herren. Wächst da gar ein Team heran, das in Atlanta zum zweiten Mal olympisches Doppel-Gold holen könnte? Wer mag das sagen, in dieser kurzlebigen Welt? „Vielleicht“, so mutmaßt Boris Becker, „sind wir ja bis dahin Golfprofis.“ Michael Stich blieb auch in diesem Fall die Rolle des zustimmenden Nickers.
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