: Auf keinen Fall Metaphern
■ Politische Gründe, Fernweh und Not markieren den Fremden in der Fremde: Mit Video, Installationen und Büchern untersucht die amerikanische Künstlerin Renée Green das soziale Geflecht der Orte, an die sie im Kulturaustausch verschlagen wird.
Seit der letzten New Yorker Whitney Biennial geistert das Gespenst der „political correctness“ durch mancherlei Diskurs. Eine der KünstlerInnen, auf die mit der Gruppenausstellung 1993 ein besonderes Augenmerk gelenkt wurde, ist Renée Green. 1959 in Cleveland, Ohio geboren, arbeitet die afroamerikanische Künstlerin Geschichte aus der Sicht von Schwarzen auf. Dabei sucht sie nach keinem Gegenmodell, sondern verbindet unterschiedliche Erzählebenen. „Import/Export Funk- Office“ (1992) etwa kombiniert Video-Interviews, die sie mit dem Kulturkritiker Diedrich Diederichsen über HipHop und die europäische Aneignung afroamerikanischer Kultur geführt hat, als anthropologische Studie. In ihrer Berliner Ausstellung „Miscellaneous“ kommentiert Green den universalistischen Denkansatz Alexander von Humboldts: In einem Video sieht man zwei Füße stumm über das Kopfsteinpflaster irgendeiner Straße stapfen. Ein zweiter Raum wurde als Archiv eingerichtet, das autobiografische Fotos von Green im Verweis auf europäische Kultur-Städte zeigt. Ein letzter Raum ist abgedunkelt und karg mit vier Holzbänken bestückt. Aus den Ecken kommen arabische Musik, Stammesrituale und Disco vom Band. Dazu ein Interview mit Paul Robeson, der in den 50er Jahren aus England in die DDR emigrierte – als Reaktion auf den Rassismus im Westen.
taz: Welches Konzept verbirgt sich hinter „Miscellaneous“?
Renée Green: Der Ausgangspunkt war ein Zitat von Marcel Mauss, aus seinem Aufsatz „The Technics of the Body“: „Es gibt immer einen Zeitpunkt, an dem die wissenschaftlichen Fakten noch keinem strengen Konzept unterliegen, an dem sie noch nicht einmal organisch geordnet sind, und zu diesem Zeitpunkt wird die Masse der Fakten gerne unter dem Code für Unwissenheit, ,Miszellen oder Vermischtes‘, subsummiert. Hier ist der Moment, an dem wir eingreifen müssen, weil wir uns sicher sein können, daß hier die Wahrheit entdeckt werden kann, erstens weil wir uns bewußt sind, daß wir nichts wissen, und zweitens, weil wir noch ein lebhaftes Gespür für die Menge der Fakten haben.“
Auch in Tageszeitungen existiert eine Rubrik, die sich unter „Vermischtes“ mit Leuten aus aller Welt beschäftigt.
Ich denke, daß Marcel Mauss die Situation ganz gut beschrieben hat: Die Konfrontation von Nichtwissen und die Berge an Informationen. Mich interessiert eher, wie man mit den Informationen umgeht, wenn man auf fremde Orte, Situationen oder Kulturen trifft.
Liegt darin die Anziehungskraft all der verschiedenen Orte, an denen Sie vor allem in Europa gearbeitet haben: Lissabon, Nantes, Antwerpen, Den Haag und jetzt Berlin?
Zunächst hängt es einfach davon ab, welche Vorschläge überhaupt an mich herangetragen werden. Meistens kann man den Grund dieser kulturellen Aktivitäten zurückverfolgen. Ich hatte zum Beispiel ein Arts International Grant für Lissabon. Arts International ist der UNO angegliedert. Diese Kunstaustauschprogramme sollen die Freundschaft der Nationen fördern. Das sind die sanften Verbindungen zwischen den Kulturen. Es ist also zunächst gar nicht meine Wahl. Am Ende, wenn ich zu- oder absage, natürlich schon. Meine Faszination für diese verschiedenen Städte liegt darin, daß alle einmal sehr mächtige Handelszentren waren, auch wenn sie nun nicht mehr diesen Status haben, den zum Beispiel Hafenstädte im 17. Jahrhundert hatten. In Berlin hat mich speziell Alexander von Humboldt interessiert.
Berlin versucht, an seinen ehemaligen Metropolenstatus anzuknüpfen. Da bezieht man sich natürlich auf prominente Figuren, die die Stadt international gemacht haben.
Merkwürdig, häufig werden genau die Personen von einer Stadt oder einem Land in Anspruch genommen, die weggegangen sind, weil sie die provinzielle Situation dort nicht aushielten. Soweit ich gelesen habe, wollte Humboldt ganz verzweifelt aus Berlin weg. Auch später, als außerordentlich erfolgreicher Wissenschaftler wollte er mit anderen Kreisen zusammenkommen, als es in Berlin möglich war. Aber die Ausstellung „Miscellaneous“ ist mehr eine Auflistung von prozeßhaften Praktiken innerhalb eines Feldes als eine starre Darstellung festgeschriebener Bezüge. Wenn ich mich auf Humboldts Universalismus beziehe, dann auch, um seine Idee zu unterwandern. Das andere Thema meiner Arbeit ist, welche Gründe Menschen antreiben, wenn sie reisen – politische Gründe, Fernweh, finanzielle Not.
Wie ergibt sich daraus eine Ausstellung im Zusammenhang mit Ihrem Berlinaufenthalt?
Ich habe während meiner Zeit in Berlin dieses Buch, „After the Tenthousand Things“, fertiggestellt. Es ist für eine Ausstellung in Den Haag geplant, die „Das siebente Museum“ heißt, es geht um Kunst im öffentlichen Raum. Ich denke, die Berliner Ausstellung ist ein Rahmen, um dieses Buch vorzustellen. Es wirkt wie ein typisches Kunstbuch, das das holländische Stilleben im 17. Jahrhundert behandelt. Aber der Inhalt ist anders, ich setze mich mit der Frage des site specific work auseinander.
Sie haben das Thema gewissermaßen in einen theoretischen Rahmen gestellt?
Nicht nur theoretisch. Aber zunächst einmal wollte ich feststellen, welche Definitionen von site specific work überhaupt existieren und die Geschichte dieser Definitionen zurückverfolgen. Das Buch besteht aus einer Menge Zitate, etwa von Richard Serra, der darüber spricht, welche Räume und Plätze man für diese Art von Kunst normalerweise angeboten bekommt: „Üblicherweise werden dir Plätze angeboten, mit denen spezifische ideologische Konnotationen verbunden sind. Parkanlagen, Firmengebäude und öffentliche Gebäude mitsamt ihren architektonischen Ausläufern wie Vorgärten und Plazas. Es ist schwierig, diesen Kontext zu unterlaufen. Deshalb gibt es soviel schlechte Plaza- Kunst. Aber es gibt keinen neutralen Raum, jeder Ort hat seinen Rahmen, seinen ideologischen Unterton, das ist nur eine Frage des Stärkegrades. Es gibt eine Bedingung, auf der ich bestehe – dichter Verkehr.“ Das ist also seine einzige Bedingung. Ich fand es wissenswert, wie andere Künstler schon darüber nachgedacht haben. Zum Schluß bin ich bei „System specific“ angelangt.
Was bedeutet das?
„System specific“ mochte ich, weil es mehr zu der Art zu arbeiten paßt, die mich interessiert. Der Ort ist wichtig, aber nicht der einzige Faktor, die Sprache ist wichtig und auch, daß ich fremd bin und mich unter veränderten räumlichen Bedingungen mit meiner eigenen Unwissenheit konfrontiert sehe.
Was ist Ihre praktische Vorgehensweise beim „Tenthousand Things“-Projekt gewesen?
Ich saß hier in Berlin und überlegte mir einerseits, was ich über Den Haag weiß und über Holland im allgemeinen, und dann fragte ich mich andererseits, was mich an Holland interessiert. Und da gab es dieses geheimnisumwobene Buch „The Tenthousand Things“. Ich hatte vor langer Zeit darüber in einem anderen Buch, das „Silences“ hieß, gelesen. „Silences“ handelte von Büchern, die nicht mehr im Druck sind. Und dann fand ich in Wien „The Tenthousand Things“ und wollte es eigentlich kaufen. Aber an der Kasse überlegte ich mir, daß es nur ein weiteres schweres Buch ist, das ich mitschleppen muß und ließ es bleiben. An dieses Buch habe ich mich dann wieder erinnert. Es handelt von den Gewürzinseln. Bei meinen Reisen nach Den Haag habe ich eine Frau kennengelernt, Magdalena, der einzige Mensch außer mir, der dieses Buch bislang kannte. Es ist ihr Lieblingsbuch. Magdalena ist teils molukkischer Abstammung und erzählte mir, daß die Autorin von „The Tenthousand Things“ die Lehrerin ihres Onkels war, auf einer der Inseln der Molukken.
Dann gehören zur Annäherung an einen Ort auch Bekanntschaften, die sich zufällig ergeben?
Ja, so habe ich auch einen Sammler kennengelernt. Er machte die Führung durch die Erste Kammer des Parlaments und fragte mich, woran ich arbeite. Daraufhin zeigte er mir seine Sammlung von Kunstwerken und allen möglichen Dingen, die er in vierzig Jahren gesammelt hat. Antwerpen dagegen war für mich ein Ort, wo der Einfluß der Kolonialgeschichte sehr deutlich ist. Es ist unmöglich, dort nicht auf Teile dieser Geschichte zu stoßen. Dazu gehört die Art, wie man es interpretiert – wenn man eine dunkle Hautfarbe und Dreadlocks hat so wie ich, bedeutet es für den Umgang mit der Vergangenheit ja auch etwas Bestimmtes. Du bist automatisch Subjekt dieser Vergangenheit. In Den Haag habe ich an einem Kapitel „Encounters and Statistics“ gearbeitet, in dem die unterschiedlichen Zahlen der Einwanderer aus anderen Ländern mitaufgelistet waren.
Solche Begegnungen finden sich in Ihren Arbeiten immer wieder, etwa in der Kombination von Angela Davies und Theodor W. Adorno, oder bei „Import/Export Funk-Office“, wo Sie Diedrich Diederichsen im Interview zu HipHop befragt haben?
Das war nur ein Teil der Funk- Office-Arbeit. Ich habe dazu noch einige Stunden Video-Material von Diederichsen, als er in Los Angeles die Stätten aufgesucht hat, an denen die Exilanten gelebt haben. Wir sind zu all diesen Orten gefahren, zum Haus von Thomas Mann, oder dem Hotel, wo alle Exilanten zuerst gelandet sind. Es muß ein Schock für diese Männer gewesen sein, als sie ihre neue Nachbarschaft gesehen haben.
Mit der Anspielung auf Adorno/Davies kehrt sich der Bezug zwischen historischen Wurzeln und zeitgenössischem Diskurs um – die Aktivistin versucht vom Theoretiker zu lernen, um dann zu ihren Ideen zurückzukehren?
Nein, die Genealogie von Angela Davies ist anders. Schon bevor sie bei Adorno studiert hatte, war sie mit dessen Methodik vertraut. Aber als sie dann in Deutschland war, hat sie im Fernsehen gesehen, was mit den Black Panthers passierte. Dadurch ist sie erst auf die Idee gebracht worden, sich in deren Umfeld zu engagieren. Für meine Arbeit war es entscheidend, auf die Umsetzung in der Öffentlichkeit einzugehen, wie Personen als Ikonen eine Bedeutung bekommen, ohne daß man ihren Kontext richtig kennt: Angela Davies oder Malcolm X. Natürlich war es ein wenig provokativ gedacht, Adorno und Davies zu verbinden. Doch in Wirklichkeit hatte sie bereits bei Herbert Marcuse in Amerika ihre Erfahrungen mit deutscher Philosophie gemacht. Das Bild von Angela Davies beruht auf der Vorstellung einer Revolutionärin, nicht auf dem einer Frau, die Vorlesungen gibt. Man sieht in ihr die Aktivistin, nicht die Theoretikerin. Andererseits hat Adorno sich mit populärer Kultur wie Jazz zumindest zu beschäftigen versucht.
Sehen Sie im Rückgriff auf „black history“ Parallelen zur Arbeit von Carrie Mae Weens, die Namen schwarzer Freiheitskämpfer in Teller graviert. Sie haben für „Commemorative Toiles“ ein Zimmer in Tapeten gehüllt, die afroamerikanische Motive als romantische Ornamente zeigen?
Ich finde den Vergleich sehr unglücklich. Die Arbeit von Carrie Mae Weens überzeugt mich nicht, früher hat sie sehr viel besser gearbeitet. Sie funktionalisiert Geschichte zum Dekor. Bei meiner Arbeit waren ganz andere Schichten mit einbezogen: Das Muster hatte ich in Frankreich bei einer Stoff-Firma gefunden. Dieses Muster gehört zum Inventar der Inneneinrichtung. Die einzelnen Motive waren dagegen vollkommen fremd, Gartenszenen, eine afrikanische Nonne, eine schwarze Venus, dazu zwei Afroamerikaner, die einen Franzosen aufknüpfen. Es sollte eine vielschichtige Lesart dabei herauskommen, die über Texturen funktioniert, nicht wegen der einzelnen Bilder. In Wien lag die Galerie in einem Viertel, wo hauptsächlich Antiquitätenläden angesiedelt sind, so daß meine Arbeit wiederum in den Kontext eingepaßt war. Die Objekte sind keine Trophäen, sondern die Basis für die Auseinandersetzung mit Material. Auf keinen Fall Metaphern jedenfalls. Interview Brigitte Werneburg / Harald Fricke
„Miscellaneous“, bis 5.3., in der DAAD-Galerie / Berlin, Kurfürstenstraße 58; vom 10.2. bis 13.3. zeigt die Galerie neugerriemschneider, Berlin, Goethestraße 73, Arbeiten von Renée Green.
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