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Der Leidensweg des Abbas Amir Entezam

■ Der frühere Vize-Ministerpräsident des Iran ist seit 1979 im Gefängnis

Berlin (taz) – Ein Mann in einem Krankenhausbett, den linken Arm und das linke Bein in mittelalterlicher Manier am Gestell angekettet. Keine Blumen, keine Bücher, kein Radio auf dem Nachttisch. Das ungewöhnliche Foto wurde vor anderthalb Jahren im Iran aufgenommen, in einem Teheraner Krankenhaus, heimlich, und dann außer Landes geschmuggelt. Der Mann heißt Abbas Amir Entezam, ist etwa 60 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Kinder. Er wurde am 19. Dezember 1979 festgenommen, in letzter Instanz wegen Spionage zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt seither als politischer Gefangener im Evin- Gefängnis. Sein „Vergehen“: Er hatte sich gegen das politische System in Iran gestellt, das auf der Herrschaft religiöser Rechtsgelehrter beruht.

Ehe er sich ganz der Politik widmete, war Abbas Amir Entezam als Bauingenieur tätig. Er hatte in Teheran, Paris und Berkeley studiert. Bereits unter dem Schah-Regime war er als Gegner der Monarchie und Mitglied der Freiheitsbewegung Iran mehrmals im Gefängnis. Bei dieser Organisation handelt es sich um eine Vereinigung bügerlicher Demokraten, die sich die politischen Systeme des Westens zum Vorbild nehmen, sich aber nicht außerhalb der islamischen Bewegung situieren. Nach dem Sturz des Schah-Regimes Anfang 1979 wurde Mehdi Barzagan, der Vorsitzende der Freiheitsbewegung Iran, zum Ministerpräsidenten der provisorischen Regierung ernannt; Entezam wurde sein Stellvertreter und Regierungssprecher. Anschließend war er Botschafter der Islamischen Republik in skandinavischen Ländern. Im Dezember des gleichen Jahres erhielt er ein Telegramm mit der gefälschten Unterschrift des damaligen Außenminister Sadegh Ghotbzadeh, in dem er eingeladen wurde, zu politischen Besprechungen nach Teheran zu kommen. Der Termin sollte am 19. Dezember um 21 Uhr im Außenministerium stattfinden. Am Eingang des Gebäudes wurde er festgenommen.

Aus Verlautbarungen Entezams, die ins Ausland gelangten, geht hervor, daß er während seiner Haft mißhandelt und geschlagen wurde. 550 Tage saß er in Einzelhaft ohne Besuchserlaubnis und Hofgang. Insgesamt hatte er von 1979 bis 1982 Besuchsverbot. Antworten auf Briefe seiner Frau erreichten diese nie; seine Frau und seine Kinder leben heute dank der Unterstütztung des Internationalen Roten Kreuzes „in einer Ecke dieser Welt“.

Wegen seiner gesundheitlichen Probleme, die teilweise auf die Haftbedingungen zurückzuführen sind, war Entezam bereits mehrmals im Krankenhaus. Jedesmal wurde er am Bett angekettet – wegen angeblicher Fluchtgefahr. Bei einer Prostata-Operation im Jahre 1985, die er erst nach zähem Kampf durchsetzen konnte und aus eigener Tasche bezahlte, standen sechs Bewacher sogar im Operationssal. Entezam leidet unter anderem an Nierensteinen, Hautreizungen, Verkrümmung von Beckenknochen, einem Magengeschwür, Ohrenrauschen und Schwerhörigkeit.

Anfang 1992 wurde Entezam mehrfach nahegelegt, das Gefängnis ohne jede Auflage zu verlassen. Doch das lehnt er ab: Er fordert eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor „einem neutralen Gericht, mit unabhängigen Schöffen, Anwälten und Journalisten und unter der Kontrolle der UNO“. Bei einer Besprechung mit einem Mitglied des Zentralen Sekretariats des Evin-Gefängnisses am 21. Dezember 1992 entgegnete Entezam auf die Frage nach einer Begnadigung: „Ich werde der Islamischen Republik nie gestatten, mich zu begnadigen. Sie können mich umbringen, aber nicht begnadigen.“ Auf die Frage, was er tun werde, wenn er freikäme, sagte er: „Ich werde bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens nicht freikommen und bis zur Wiederherstellung meiner Ehre im Gefängnis bleiben.“

Seit mehreren Jahren haben sich Organisationen wie amnesty international oder das UN-Menschenrechtskomitee des Falles angenommen. In der Bundesrepublik befassen sich damit unter anderem die Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran und das Komitee zur Verteidigung von Amir Entezam. Letzteres hat Briefe mit der dringlichen Bitte um Unterstützung an fünfzig Persönlichkeiten in der Bundesrepublik geschickt; die Reaktion war teilweise ausgesprochen positiv. So ließ beispielsweise der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt anfragen, wie er am effektivsten helfen könne.

In der iranischen Hauptstadt Teheran sorgt unterdessen das ins Ausland geschmuggelte Foto von Entezam für Aufsehen. Es wurde bereits im mehreren iranischen Exilzeitungen veröffentlicht, die Rundfunkanstalten Voice of Amerika, BBC und Radio Israel haben in ihrem persischsprachigen Programmm darüber berichtet. Vertreter des Regimes wurden bei Bazargan vorstellig und befragten ihn in dieser Angelegenheit.

Entezam ist jetzt wieder im Evin-Gefängnis. Geheilt wurde er bei seinen verschiedenen Aufenthalten im Krankenhaus nicht. Nach Angaben Bazargans gegenüber der Liga darf er nur Besuche von nahen Verwandten empfangen, die er aber im Lande gar nicht hat. Abbas Amir Entezam ist jetzt seit fünfzehn Jahren im Gefängnis. Inga Sonntag

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