: Die Muslime teilen ihr Land nun selbst
Das multikulturelle Zusammenleben sichern, dieses Ziel hat die Mehrheit der bosnischen Bevölkerung lange Zeit verfolgt / Doch nun scheint die Islamisierung kaum mehr aufzuhalten zu sein ■ Von Erich Rathfelder
Die Fernsehbilder der Soldaten lösten bei vielen Bosniern einen Schock aus, von anderen jedoch wurden sie freudig begrüßt. Einige der Einheiten waren in weißen Tarnanzügen, andere in den schwarzen Overalls der Spezialeinheiten, viele in den für die bosnische Armee normalen olivgrünen Uniformen erschienen, alle jedoch trugen ein grünes Band um die Stirn. Und auf dem stand in arabischer Schrift, was dann aus Tausenden von Kehlen erklang: „Allahu Akbar!“, „Gott ist groß!“ riefen die Soldaten. Sie feierten am 27. Januar in einem Sportzentrum von Zenica den dritten Jahrestag des Bestehens der 7. Muslimanischen Brigade. Und sie zeigten eindringlich, daß es in der bosnischen Armee kein Tabu mehr gibt, Insignien des Islam öffentlich zur Schau zu stellen. Als dann am nächsten Tag fünf Mitglieder des bosnischen Staatspräsidiums gegen diesen Auftritt in einem Brief an ihren Vorsitzenden, den Präsidenten Bosnien-Herzegowinas Alija Izetbegović, protestierten, wurde ein öffentlicher Disput ausgelöst, der bis heute andauert. Der Vorsitzende der kroatischen Bauernpartei Ivo Komšić machte sich zum Sprecher der Kritiker im siebenköpfigen Staatspräsidium, zu dieser Opposition gehören außerdem sein kroatischer Kollege Stjepan Klujić, die beiden serbischen Repräsentanten Mirko Pejanović und Tatjana Ljujić-Mijatović sowie der Muslim Niaz Duraković. Ihr Anliegen: Die 7. Muslimanische Brigade hätte zumindest die bosnische Flagge zeigen müssen. Denn immerhin sei die bosnische Armee eine Armee aller Bosnier und nicht nur die der Muslime. Eine Ideologisierung der Armee könne nicht hingenommen werden. Präsidiumsmitglied Ejub Ganić und Präsident Izetbegović konterten kühl und gelassen: „Wenn man über die Ideologisierung der bosnischen Armee spricht, dann laßt uns die Gräber zählen.“ Mit dieser Antwort trafen die beiden führenden muslimischen Politiker den Nerv des größten Teils der muslimischen Bevölkerung. Schließlich müßte es allen klar sein, daß die Muslime die Hauptlast der Verteidigung Bosniens trügen. „Über 90 Prozent der Soldaten, die Bosnien verteidigen, sind Muslime, nur etwa 2 Prozent Serben und etwas über 5 Prozent Kroaten“, erklärt der Kommandeur des II. Armeekorps in Tuzla, Sead Delić.
Die Kommandeure stellen sich denn auch demonstrativ hinter Izetbegović und Ganić. Und sie lassen erkennen, daß es wohl an den anderen Nationen in Bosnien liegen müsse, daß die bosnische Armee immer mehr zu einer muslimischen Armee werde. „Warum kämpfen nur so wenige Kroaten und Serben gegen die faschistische Aggression der serbischen Tschetniks?“ Das Staatspräsidium, in dem alle drei Nationen immer noch gleichberechtigt vertreten sind, sei wohl eine überkommene Institution, heißt es jetzt schon bei manchen höheren Offizieren. Die Institutionen des Staates völlig in Frage stellen muß die Armee jedoch nicht. Denn mit ihrer klaren Stellungnahme zugunsten Izetbegovićs ist die Machtfrage sowieso entschieden: „Ohne die Armee gebe es den Staat gar nicht.“ Nach Ansicht von Journalisten steht zudem „auch das Gros der Bevölkerung“ hinter Izetbegović, bei den Wahlen würde er 80 Prozent der Stimmen gewinnen.
Wasser auf die Mühlen der Kritiker des Präsidenten jedoch ist, daß es sich bei der 7. Muslimanischen Brigade in der Vergangenheit keineswegs um eine schlagkräftige Truppe handelte. Sie trat 1993 weniger an der Front als in der Region auf, wo einige kroatische Dörfer bei Kakanj und Travnik von ihr zerstört wurden. In die Brigade wurden rund 200 Freiwillige aus islamischen Ländern integriert, sogenannte Mudschaheddin, die sich durch Belästigung von Passanten in Zenica hervortaten. Nach der Entwaffnung der Freiwilligen und dem Aufbau einer neuen Kommandostruktur will die Truppe jetzt mehr Verantwortung an der Front übernehmen.
Von anderem Schlag sind die Schwarzen Schwäne, eine echte Eliteeinheit, die direkt Izetbegović untersteht. Sie war an fast allen Offensiven der letzten Zeit beteiligt. Wer Schwarzer Schwan werden will, muß eine spartanische Lebensweise und religiöse Regeln akzeptieren. Das morgendliche Gebet ist ebenso selbstverständlich wie die rituellen Waschungen. Die rund 1.000 Mann starke Truppe unterzieht sich einem strikten körperlichen Training.
Viele Soldaten tragen nun das grüne Stirnband
Auch in anderen, normalen Truppenteilen der bosnischen Armee beginnen sich Gruppen zu bilden, die nach den religiösen Regeln leben möchten. Wer gegen diese Regeln verstößt, wird wieder aus ihren Reihen ausgeschlossen. Während einer Parade der 1. Muslimanischen Brigade am 3. Februar bei Tuzla machte sich ein solcher Truppenteil lautstark bemerkbar. „Wir sind eine muslimanische Brigade, weil es bei uns keine Kroaten und Serben mehr gibt“, erklärte einer ihrer Soldaten, „und unsere Abteilung, die die religiösen Regeln einhält, kämpft in den vordersten Reihen an der Front.“ Trotz dieser Erschwernisse sei der Zulauf zu den religiösen Truppenteilen enorm geworden. „Viele wollen jetzt das grüne Stirnband.“
Mustafa Cerić, das religiöse Oberhapt der Muslime Bosniens, hatte schon vor Monaten die zentrale Frage gestellt, warum sich eigentlich das Gros der kroatischen oder serbischen Bevölkerung im Krieg weigere, Bosnien und damit die gemeinsamen Werte der bosnischen Identität des Zusammenlebens und der Toleranz zu verteidigen. Und er stellte fest, daß der Islam die Mutter und Bosnien der Vater der bosniakischen Identität sei. Der Islam habe den Bosniaken die Zivilisation gebracht, der Islam sei es, der die kulturellen Werte Bosniens präge.
Waren 95 Prozent der Muslime Bosniens vor dem Kriege atheistisch und wurde die Religion als „folkloristische Angelegenheit“ betrachtet, so ein Hodscha in der Armee, habe die Erfahrung des Kriegs und das Gefühl, von aller Welt allein gelassen worden zu sein, inzwischen zu einer Wende geführt. „Heute stehen 50 Prozent der Muslime der Religion aufgeschlossen gegenüber.“ In der Tat halten seit Montag, dem Beginn des Fastenmonats Ramadan, viele Muslime Bosniens zum ersten Mal in ihrem Leben die Fastenregeln ein. Die Religion ist nicht nur in der Armee auf dem Vormarsch. „Ihr Erfolg ist ein Zeichen dafür, daß die Muslime Bosniens ihre nationale Identität auszubilden beginnen“, erklärt der Hodscha.
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