: Maximum Rock 'n' Roll
■ Mehr Single-Hits-Collection als Konzeptalbum: Im zweiten Band des zweiten Bandes von „Buch der Könige“ geht der Macht- und Medienforscher Klaus Theweleit den Geheimnissen der „Recording Angels“ nach
There's an angel sitting on my (turn-)table ... Emil(e) Berliner heißt der Erfinder der Engelmarke nebst zugehöriger Schallkonservierungstechnik. Klaus Theweleit beschreibt ihn als ebenso prometheischen wie traditionsbewußten Gründer: „Im vollen Bewußtsein seiner Gott- Beerbung griff er dazu in den Himmel, holte aus diesem den biblischen Aufschreibengel runter und setzte ihn, 1899, Federkiel in der Hand, aufs Label seiner schwarzen Abspielscheibe.“
Eine poetische Minimediengeschichte, die dem zweiten Band des zweiten Bandes von „Buch der Könige“ vorangestellt ist, Prolog aufs Fließen, eines von Theweleits wiederkehrenden Themen; lange gehörte es ganz der Natur, erst im 19. Jahrhundert (in den physikalischen Theorien von Wellen und Frequenzen) wurde es moderne Wissenschaft, bis es schließlich, fünf oder höchstens zehn Minuten vor Anbruch des 20., zur Record Machine kam, dem großen Innovationsangebot, das Dahinziehen der Flüsse, Blitz und Donner, His Master's Voice, mittels eines Mediums in etwas anderes zu übersetzen: ein künstliches Rauschen, eine neuartige Macht, die nach neuen Vermittlerfiguren verlangt – „und es ging ... der Engel nahm den Job...“
Seither sind sie unter uns, die Arbeiter an und mit (technischen) Medien, Pioniere, Außerirdische, Sänger, Erzeuger neuer Körperzustände, die Theweleit – nach einem der Kunst- und Selbstzeugungsnamen Andy Warhols – „Recording Angels“ nennt. Mit „Recording Angels' Mysteries“, der 800seitigen Nachlieferung zu der schon 1988 im Prinzip fertigen Studie über Gottfried Benn, hat er ihnen erstmals einen eigenen Band gewidmet – und dafür sogar eine Verzögerung des in den Achtzigern begonnenen Projekts „Buch der Könige“ um mehrere Jahre in Kauf genommen. Warum? Der Fall der Mauer, der Zerfall der Sowjetunion, das Wiederauftauchen eines in der Blockrealität eingefrorenen „deutschen“ Gewaltpotentials habe danach verlangt. „Das Laufende sollte hinein, vor allem die Nach-1945er Pop-Welt.“
Faschist für zehn Minuten?
Ein Kommentar zum „Zeitgeschehen“ also, den dieser Halbband leisten soll – doch einer, der weniger frontal funktioniert, als über das, was er in Material und Form geduldig, selber in Kreisbewegungen, aufnimmt und umsetzt. Biermann, Reich-Ranicki, Walser, Schneider, Enzensberger, Jünger – die gesamte Belegschaft der deutschen Meinungs-und-Identitäts-GmbH taucht (mitsamt ihren Verstrickungen und Selbstflorettierungen) in Fußnoten auf, ist aber nur das Randpersonal eines größeren Problemkreises. Im Zentrum steht die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Macht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dargestellt an Figuren, deren Karrieren bislang fast ausschließlich unter dem Aspekt von Aufbruch und Befreiung verstanden worden sind: Elvis Presley und Andy Warhol. Auf ihre Weise waren auch sie bei der Stasi.
Ich denke, die Irritation, aus der dieses Buch kommt, hat viel auch damit zu tun: Orpheus/Narziß/ NARC – wie Theweleit wechselnd die Figur nennt, die mit den neuen Medien experimentiert wie mit einer Droge – ist nicht mehr so leicht zu verteidigen wie noch Ende der Achtziger. In fünfzig Jahren Nachkriegsgeschichte hat sie zwar einiges zur Zivilisierung der Umgangsformen beigetragen, aber niemand weiß, wie der Typ sich jetzt, wo die Blöcke geschmolzen und der Deckel vom Topf ist, entwickeln wird. Können sich 50.000.000 Elvis-Fans doch irren? Wird in Zukunft jeder ein Faschist für zehn Minuten?
Daß es Theweleit, das vorneweg, im Bio-Graphieren der Angel-Geheimnisse natürlich doch um Orpheus' Verteidigung geht, spricht vor allem aus den erinnernden Parts. Anders als Friedrich Kittler (dessen Medientheorie, schon im ersten Band von „Buch der Könige“ ein deutlicher Einfluß, immerzu auf „World War III“ hinausläuft) lädt sich Theweleit bei Bedarf an einer Erfahrung auf, ohne die sein Schreibstrom nicht fließen könnte: Maximum Rock 'n' Roll – daß da mal irgendwas gewesen ist, was nicht nur Rattenfängerei war; daß in der Musik, die sich auf den runden Tonträger-Scheiben dreht, noch eine Erinnerung enthalten ist an die ursprüngliche Herkunft aus den Wellen von Flüssen und Meeren; daß, mit anderen Worten, im Umgang mit „Medien“ ein nicht-soldatisches, „weibliches“ Potential steckt – und deshalb „Recording Angels“ zu Recht auch mit „Schutzengel“ übersetzt werden kann.
Catchy Hooklines
Man merkt das schon beim ersten Durchblättern: Obwohl es sich auch diesmal wieder um einen Backstein von Buch handelt, autoritätserzwingende Großtat eines (doch, doch!) raumgreifenden Großschriftstellers, zerfällt das Ganze sehr schnell in kommunizierende Teile, ist weniger Konzeptalbum als Single-Hit-Collection: „Spitze sein, Spitzel sein“, „Deutschland – Morgenröte“, „Letzte Kugel. Same Player shoots again“, „Troubles and Sympathies 1968 ff“, „Oh help me, Dear Doctor, I'm damaged (Morpheus in Memphis)“ heißen die Dinger u.a. – nicht nur eine Technik des schnöden Sich-interessant-Machens, des „journalistischen“ Leseanreiz- Schaffens, sondern auch eine Kulturtechnik, die den Zwängen und Stärken des Single-Hits entspricht: innerhalb eines Minimums an Zeit ein Maximum an Wirkung erzielen, den richtigen Dreh finden und die richtige Formulierung, the line that hits (you).
In diesem Sinne springen einen Theweleit-Sätze, auch wenn er sie selbst „nur“ gesampelt hat, oft eigenartig an – z.B. gleich von der ersten Seite: „Manche Leute lassen sich von ein- und demselben Problem über Jahre hinweg kaputtmachen, obwohl sie nur zu sagen bräuchten: ,Was soll's!‘ Das ist eine von meinen Lieblingswendungen. ,Was soll's!‘ ,Meine Mutter hat mich nie geliebt.‘ ,Was soll's!‘ ,Ich bin toll, aber immer noch alleine.‘ ,Was soll's!‘“. (Ein Gertrude-Stein- Zitat.) Schluck! Könnte man gemeint sein? A Problem Child? (Vor allem, wenn man sich alleine fühlt und den bösen Verdacht hat, die eigene Mutter habe einen nie geliebt?) Theweleit-Bücher sind natürlich immer auch Kopfkissenbücher für Linke – aber nicht nur. Sie wollen den Raum ausmessen, der von „persönlichen“ Befindlichkeiten hinführt zu „historischen“ Bewegungen. Wie gute Popmusik das (gekoppelt mit deren Verlängerung durch Kritik) kann. Andernfalls: Hang the DJ!
Sexualisierte Frechheit
Biographische Urszene dieser Technik der catchy Hooklines ist das in „Buch der Könige“ Band 1 beschriebene „Mutterradio“: die Theweleit-Mutter als ostpreußischer Küchenschizo, ein Wesen, das sich mit Liedern über den eigenen Wahnsinn hinwegsingt, der erste DJ, der die Kindheit mit Sounds füllt. Sein Trällern markiert die Stelle, an der später der britische Soldatensender anknüpft, das Jugendzimmer mit Rock 'n' Roll infiltriert, dem Wunsch, sich als nichttötendes Wesen neu zu erfinden, bis Ende der Sechziger etwas so weit ist: „Der Schub kam, politisch, 1967 durch die Sprachen des Marxismus, die öffentlich werdende Sprache der Psychoanalyse, durch die Sprachen eines sich entfaltenden Internationalismus, die sich verbanden mit den Sprechweisen des Kinos und den Sprachen der Popkultur. Eine neue Sprechweise einer sexualisierten Frechheit insgesamt ging daraus hervor...“ (so nachzulesen in dem gerade erschienenen Sammelband mit „journalistischen“ – u.a. in der taz erstveröffentlichten – Theweleit- Nebenhits „Das Land, das Ausland heißt“).
Formales Merkmal dieser „Frechheit“ ist bis heute die Bastardisierung der theweleitschen Sprache geblieben: Englische Wörter nicht als Asylbewerber behandeln, sondern hereinnehmen in die eigene Mischtechnik, den Eigengesetzlichkeiten des Materials nachgehen und nachgeben. Fußnoten sind Fische, die in nochmals andere Fahrwasser führen, tausend Plateaus, auf denen die Geschichte spielt, ain't no river deep enough.
Wem die Recording Angels nie etwas eingeflüstert haben, bleibt überraschend taub für diesen Theorie-Sound, er hat einfach das Sensorium dafür nicht in seinem psychophysischen Repertoire – so in schöner Deutlichkeit zu studieren an den meisten der Rezensionen, die bislang zu diesem Teilabschnitt von „Buch der Könige“ erschienen sind. (Auch in dieser Zeitung kriege ich immer wieder zu hören: Wieso nur dieses böse Englisch? Kann man es nicht einfacher sagen? Muß das denn wirklich sein, Junge?) Den Vogel in dieser Hinsicht schoß die Junge Welt ab; sie verbuchte Theweleit – neben Schacht/Schwilks „Die selbstbewußte Nation“ – in einem Special „Konservative Theorie“. Fazit des Rezensenten: „Für Theweleit ist Faschismus eine Frage des Stils, Geschmackssache.“
Schreibstern Theweleit
Umgekehrt findet die primäre, interessierte Theweleit-Rezeption nach wie vor in einem präuniversitären, nicht- oder halbfeuilletonistischen, durch Popsensibilitäten strukturierten Bereich statt. Sebastian Lütgert hat in der neugegründeten Berliner Kulturzeitschrift Auseinander auf hübsch evidente Weise beschrieben, wo es geheime Verabredungen zwischen dem „Buch der Könige“ und neueren Songrhetoriken gibt: „,Ich‘ allein ist das, was schreit, das sich spaltet in zwei Blöcke (damit es nicht allein ist in seinem Vielheitsgewimmel), das lieber wahnsinnig wird oder Faschist oder Anästhesist, um den Zerreißungsschmerz nicht jede Minute des ganzen Tages und der ganzen Nacht in den Eingeweiden zu haben...“ Man muß das nicht „verstehen“, um zu kapieren, daß von hier aus Spuren führen zu den Sprachsounds von Rainald Goetz, mehr aber noch zur Hamburger Band Blumfeld, deren Sänger Jochen Distelmeyer eine nahezu beängstigende Perfektion im Sampeln von theweleitschen Bits & Pieces erreicht hat.
Ein Buch wie „Recording Angels' Mysteries“ mag nicht in jedem Fall von diesen Querverweisen über die Grenzen der Generationen, Medien und Schreibweisen wissen, es ahnt sie aber sehr genau. Denn es ist, der (Anti-)Macht- Thematik zum Trotz, ein strategisches Buch, selbst ein Stück Homerecording, das nach seinen Anschlüssen tastet. Einigermaßen gebannt verfolgt man, wer sein Fett wegbekommt in Fußnoten, wer mit spitzen Fingern angefaßt wird, wo es komplizierte Koalitionen gibt, und wer aus der Ferne Love & Respect gezollt bekommt vom Schreibstern Klaus Theweleit, Freiburg, Staudingerstraße 5. Spannend ist es auch, mit im Dreh zu sein, wenn das Schreiben sich auf der Höhe zeitgenössischer Sensibilitäten zu halten sucht – kriegt es/er nochmal die Kurve? „Punk hätte gut auf die 78er Schellack gepaßt, kratzig, überdreht, asthmatisch aus dem baßlosen Trichter geschleudert – vehementer Popkrach ... nicht die Revolution der Rockmusik...“
Kaum Neues unter der Sonne seit „68“? Es gefällt mir nicht immer gut, wie die Errungenschaften der Generation, für die Punk das (vor-)letzte wahrnehmbare Beben vor dem großen Konsens war (was sollen erst die ganz Jungen sagen?), mit unscharfen Attributen wie „kratzig“ und „überdreht“ im Namen der sechziger Jahre Recording-Götter Dylan und Hendrix kleingeköchelt wird – auch dann nicht, wenn auf der Fußnote mit feministischem Drall ein Lob auf „Pipi Punkstrumpf, die Vordenkerin der Spex Pistols“ folgt. An solchen Stellen spricht schon mal King Papa (von ein paar sachlichen Fehlern abgesehen: „Eleanor Rigby“ z.B., der Song mit der Engelzeile „No one was saved“, ist von Paul McCartney, nicht von John Lennon).
Daran, daß das Schreibmodell Theweleit ziemlich ohne Beispiel ist in dem, was heute in Deutschland Publizieren heißt, ändert das nichts. Ein Autor, der keiner universitären Schule angehört, nicht zum Fernsehgesicht erstarrt ist, der festhält am spezifischen Gewicht/ Tempo seines deutsch-amerikano- jüdisch-ostpreußisch-nordfriesisch-intellektuellen Rotwelsch und trotzdem nicht unbekannt geblieben ist – das spricht schon für eine gewisse Energie und Sorgfalt im Umgang mit den eigenen Möglichkeiten und den Biographien anderer.
Elvis Radiosohn
Zum Beispiel Elvis Presley. Für die „seriöse“ Kulturkritik hierzulande ist er ein etwas komischer Heiliger geblieben, „ausländisches Idol“, Kaumasse mit fremden Stoffen, nicht wirklich diskursfähig, fett gestorben, recht geschieht ihm. Für Theweleit dagegen ist Elvis ein Multimedia-Künstler und König, eine Ein-Mann-Revolution: „America has had 41 Presidents... but only one King“ (wie die Elvis- Erben noch heute für ihr Nachlaß- Unternehmen werben).
„Metaphysik“ ist das nicht: Was etwas märchenhaft „König“ heißt, ist die Besetzung einer Position, die in den modernen Gesellschaften nicht mehr durch Erbfolge weitergegeben wird, sondern aus dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte, der technischen Medien hervorgeht – als Vakanz: Einer muß kommen, sich auf den Thron setzen und sagen „Ich bin es“. Um 1956 schreit die Welt nach einem neuartigen König der Teenager, und der Junge aus Memphis, Tennessee, Sohn aus dem po' white Trash, fühlt sich angesprochen: Er nimmt den Job.
Die Vorbedingungen dazu mögen individuelle sein, und im Falle Elvis Aaron Presleys entsprechen sie der Konstellation, die Theweleit immer wieder als Grundmuster für den modernen Typ des Artisten beschrieben hat: starke Bindung an die Mutter, die über paramediale, „musische“ Performanzfähigkeiten verfügt (to cheer up people – Leute fröhlich zu machen, nannte Gladys Presley ihre hervorragendste Eigenschaft), der Vater tendenziell abwesend im ödipalen Dreieck. Im Hintergrund aber sind immer schon andere Gesänge, präelektrische Sounds, die auf Verstromung warten. Elvis ist ein Radiogeborener, nicht nur Mutter-, sondern auch Mediensohn.
Letzteres ist nicht ganz unwichtig, will man den entscheidenden Schritt nachvollziehen, den Theweleit mit seinen biographischen Geschichtskrimis macht: Am Subjekt schreiben nicht mehr nur Vater und Mutter (die Autoren des freudschen Familienromans), sondern die Summe der „Ströme“ einer technifizierten Umwelt.
Die Folgen sind unabsehbar: „Kunst“ ist längst nicht eine Frage der Schließung von Schiller-Theatern und ähnlicher Kleinigkeiten, sie muß studieren und umsetzen, was die medialen Sänger von den Dächern, durch die Schüsseln, durch die Kabel pfeifen, sie muß realisieren, daß die Kultur von heute eine universale Popkultur ist (die cultural studies dafür in weiter Ferne, durchaus ungeboren). Das aber heißt zugleich: „Der Künstler“ ist auch in dem, was er herstellt, mit den Mitteln der traditionellen Psychoanalyse nicht zu fassen; er ist mehr ein Produktionsverhältnis, ein Medien/Mensch- Kombinat, als ein fest umrissenes „Individuum“. Theweleit: „...entsprechend sind die Stimme (Platten), die Leinwand (Filme) und die Bühnenpräsenz (Auftritt) die drei Standbeine des artistisch/medialen Königstums, des ,Presley Act‘.“
Ganz ähnliches trifft für Andy Warhol zu: Hätte er „einfach“ nur gemalt, er wäre nicht sehr weit über seine Geburtsstadt Pittsburgh hinausgekommen. Erst die Kombination einer Malerei, die durch die Schule der (Werbe-)Illustration gegangen ist, gekoppelt mit Film, Musik und der Produktivkraft Großstadt machen aus dem bläßlichen Einwanderersohn Andrew Warhola den New Yorker Großartisten Andy W., das Zentrum der Factory, die in den Sechzigern die Hipsterboheme der Ostküste ansog – alles Superstars. Auch das weniger eine Frage der Personen als der Konstellationen: Warhol mit seinen Multiples, seiner Polaroidkamera, seinen Tagebüchern voller Szeneklatsch war der „Recording Angel“ par excellence, seine gesamte „Existenz eine Medienreise“.
Mystery Trains
Woher dann aber die Wut der Kunstkönige, ihre zeitweise Kollaboration mit der Macht? Wieso bietet Presley, selbst ein Drogenesser großen Stils, Präsident Nixon 1970 seine Dienste an – als verdeckter Ermittler gegen Drogenmißbrauch (und erhält tatsächlich einen CIA-Ausweis)? Und wieso geht Warhol in den Siebzigern overground, paktiert mit der New Yorker Geldwelt, wird „zynisch“, besucht sogar den Schah von Persien? Es hat etwas mit dem Kappen von Stromkreisen zu tun, sagt Theweleit, der Verkehrung produktiver Energie in ihr Gegenteil. Bei Warhol ist es die rapide Entleerung (s)einer Sechziger-Kunst- Welt in neobürgerliche Rituale, die ihn zum Machtpol emigrieren ließ, bei Presley der mißlungene Umbau in einen konservativen, „zeitlosen“, das juvenile Begehren abkapselnden Entertainerking: „Elvis' Anlauf auf Nixon als verzweifelter Versuch, wenigstens als Verfolger [...] mit denen in Verbindung zu bleiben, die von der amerikanischen Jugend, seiner Gemeinde, in den Sechzigern ihm vorgezogen wurden.“
Im Vergleich mit der dichten Beschreibung der Faschistwerdung Gottfried Benns im ersten Teilband fallen die Konversionsgeschichten der Nachkriegskönige an den entscheidenden Punkten knapp aus – vielleicht, weil sie zu nah an der Gegenwart dran sind, vielleicht auch, weil Theweleit sie (zu?) sehr liebt. Wie „entleert“ sich eine Welt? Wann und warum schlägt die Erzeugung neuer Körperzustände in eine bloße Selbstmodernisierung des Kapitalismus um? Hat Friedrich Kittler doch recht, der immer schon Mobilmachung und Befehl in den medialen Aufschreibesystemen des 20. Jahrhunderts am Werk sieht? Was ist mit Hans Meiser, Ilona Christen und Schreinemakers? Und was mit dem Postkartenmaler Hitler, der über diverse Schaltstellen so souverän mit den „Medien“ zu spielen wußte? Schließlich: Was für ein King ist eigentlich Dionysos? Frau, Mann oder Putto?
Man hat sich in langen Jahren daran gewöhnt, die Recording Angels als Teil des eigenen Lebens zu begreifen, aber je mehr sie werden, je lauter der mediale Gesamt- Sound wird, desto verschwiegener werden sie komischwerweise auch. Mystery Trains. Wirklich evident werden die Macht-Verhältnisse der Popgeborenen Warhol und Presley nur, wenn man sie als Split- Singles einer größeren Kasuistik liest, der Geschichte der Macht in den Beziehungen der einzelnen, an der schon die „Männerphantasien“ (1977) schrieben.
Man muß das Material tatsächlich auf seinen tausend Plateaus besuchen, um etwas „rauszukriegen“ aus diesem jüngsten Buch. Ein paar Bausteine zur Entmystifizierung großer Begriffe zum Beispiel („Liebe“, „Macht“, „Faschismus“, „Ich“), eine Anleitungsskizze zum Denken in Anschlüssen, in Produktionsverhältnissen. „Überlebender selber, wünsche ich, jemand zu sein, in dem ein Übriggebliebener überwiegt, mit dem es irgendwie weitergeht“, schrieb Klaus Theweleit Ende der Achtziger, im ersten Anlauf zum Projekt „Buch der Könige“.
Daß dem so ist, ist das mindeste, was „Recording Angels' Mysteries“ nachgesagt werden muß.
Klaus Theweleit: „Buch der Könige“, Bd. 2 (y), „Recording Angels' Mysteries“. Verlag Stroemfeld/Roter Stern, 834 Seiten, 99 DM (mit Band 2 (x) 148 DM).
„Das Land, das Ausland heißt“. Essays, Reden, Interviews zu Politik und Kunst, dtv, 202 Seiten, 19,90 DM.
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