: Paßt gut zur Postmoderne
■ Zunehmend ungteilte Erinnerungen: In „Complaints of a dutiful daughter“ (Forum) dokumentiert Deborah Hoffmann die Alzheimererkrankung ihrer Mutter
Neulich traf ich den Dings, der erzählte mir, daß der der...Na! Alzheimer!“ Inzwischen hat man sich angewöhnt, Vorkomnisse kultureller Materialermüdung auf die Alzheimersche Krankheit zu schieben; auch die taz hat einen Club gegründet, wenn ich nur wüßte, wie er hieß... „Complaints of a dutiful daughter“ rückt die Sache, ohne auch nur eine Sekunde lang zurechtweisen zu wollen, wieder ein wenig gerade. Die Regisseurin Deborah Hoffmann hat jahrelang verfolgt, wie Alzheimer Besitz von ihrer Mutter, einer ungeheuer charmanten weißgelockten Dame ergriff.
Es fängt mit den Sachen an, die man kennt, aber locker unter Überlastung verbucht: einen kleinen Vergesser hier, ein kleiner Wortverlust da. Während dieser Zeit – und auch als Mutter sich die ersten Male aus der Wohnung aussperrte und durch die Straßen irrte – hat Hoffmann noch immer versucht, Sachen richtigzustellen: Ich bin deine Tochter Debbie, dies hier ist deine Wohnung, geh bitte nicht vor die Tür, wenn du keinen Schlüssel hast... Bis ihr irgendwann klar wird, daß es absurd ist, gegen den Treibsand angehen zu wollen, der im Kopf ihrer Mutter alles mit sich reißt, was noch gemeinsame Erinnerungen waren. Auch wenn sie zusammen Fotos anschauen: die Erinnerung an ihre Kindheit ist das Einzige, was schließlich im Gedächtnis der Mutter noch intakt bleibt. Die gemeinsam verlebte Zeit, die mit Vater, Mutter, Kind, verschwindet schließlich ganz: eine Kränkung, die Hoffmann erst mal wegstecken muß.
Einmal akzeptiert, hat sie sich entschlossen, das Spiel mitzuspielen und in den Einfällen ihrer Mutter einfach zu lesen wie sonst in eigenen Träumen. Da war zum Beispiel die „Suitcase Period“, sehr schön gefilmt übrigens, als Mutter Koffer um Koffer mit Bananen, Ausgeh-Hüten, Schraubenziehern und alten Broten füllte. Sie nahm sie beim nicht gesprochenen Wort und unternahm eine kleine Reise. Auf dieser Reise war sie für ihre Mutter dann auch prompt eine Freundin aus der Highschool. „Hast du Marge neulich gesehen?! Mann, die ist ja vielleicht fett geworden!“ So kichern sie über verschiedene Erinnerungen, aber es ist kein falscher Ton dabei.
Der Film ist, so merkwürdig das klingt, nur denkbar als Produkt einer bestimmten lesbisch-jüdischen Sensibilität. Je vergeßlicher die Mutter wurde, desto weniger war das Lesbischsein ihrer Tochter ein Problem. Hoffmanns Freundin hat die Kamera geführt, beide haben, wie der Titel schon sagt, pflichtbewußt versucht, die Mutter so lang wie möglich in ihrer Wohnung zu halten, aber irgendwann ging es eben nicht mehr. Ein Heim mußte her, nach einer Odyssee durch -zig Anstalten, in denen Alzheimer Patienten sediert und am Bett fixiert werden, fanden sie schließlich eins „exclusively for Alzheimers“. Wie sie ihre Mutter dann da so glücklich unter den Leidensgenossinnen sitzen sah, fiel ihr noch auf, wie Alzheimer zur Postmoderne paßt: „You can still have a definition without a past“. Mariam Niroumand
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