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Zurück zur gelben Scholle

■ Von Hongkong in die VR: Ray Leungs „Gui Tu" (Wettbewerb)

Eine wild wackelnde, hektische Handkamera hetzt vier jugendliche Triaden-Gangster durch Hongkonger Nebenstraßen. Die schnittlose Eingangssequenz endet mit einem Mord.

Der messerschwingende Fei muß sich verstecken, aber die Polizei findet ihn. Schwer verletzt entkommt er in einem Güterzug, der Richtung Norden rollt, wo die Volksrepublik immer noch mittelalterlich und agrarisch ist. Dort ist die Erde gelb, die Menschen sind einfach und Naturkatastrophen schweißen sie zusammen. Fei kann und will sie nicht verstehen, aber schlußendlich siegen dann doch die gemeinsamen Wurzeln.

Jahrelang schienen sich die Studios und Filmemacher in Hongkong zu weigern, die drohende Vereinigung mit dem „Mainland“ überhaupt wahrzunehmen. Erst Mitte der 80er Jahre brachen Filme wie „Homecoming“ von Yim Ho (1984 im Forum) den Bann. „Gui Tu – Back to Roots“ erzählt eine ähnliche Geschichte. Im Gegensatz aber zu der Lehrerin aus „Homecoming“, die in ihrem in der Volksrepublik gelegenen Heimatdorf mehr oder weniger freiwillig nach ihrer Identität sucht, verschlägt den Gangster in „Gui Tu“ das Schicksal ungewollt ins unterentwickelte „Mainland“, und die Flucht aus dem Dorf verhindert eine blockierte Straße.

Er ist undankbar, als die Dörfler ihn wieder aufpäppeln, und löst eine Katastrophe nach der anderen aus, brennt das Maisfeld ab oder vergiftet mit seinen mitgebrachten Drogen versehentlich eine Kuh. Er will sich nicht integrieren, er will einfach weg. Seine Läuterung hin zur Scholle, dort wo – wie Regisseur Ray Leung es will – offensichtlcih die wahren chinesischen Wurzeln vergraben sind, geschieht ebenso sprunghaft wie unglaubwürdig.

Dafür ist seine Wandlung zum besseren Menschen umso perfekter: Fortan hilft er jedermann, findet nichts schöner als den Acker umzugraben und unterrichtet sogar die Kinder des Dorfes.

Ray Leung ist in Hongkong geboren und aufgewachsen, aber er scheint seine Stadt nicht zu mögen. Die pulsierende, lebendige Metropole ist bei ihm nur mehr ein Sumpf aus Mafia-Kriminalität, Prostitution und Drogen. Das flache Land, die mittelalterlichen und eben auch noch feudalistischen Strukturen des ländlichen China, erscheinen ihm als heile Welt. Selten hat jemand unkritischer und euphorischer sein „Zurück zur Natur“ propagiert.

Natürlich steht der Gangster Fei symbolisch für die Stadt Hongkong, der die gütige Mutter China noch eine Chance gibt, weil er jung ist und sich noch ändern kann. Einmal reicht Fei der Frau, die ihn aufgenommen hat, sein Feuerzeug, damit sie nicht gar so beschwerlich anschüren muß. Später fackelt er mit demselben Feuerzeug das Maisfeld ab. Die fortschrittsfeindliche Botschaft ist klar. Man könnte fast glauben, Leung wollte einen Propagandafilm machen, der den Hongkongern ihre berechtigten Ängste vor der 1997 drohenden Heimführung in die Volksrepublik nehmen sollte: Wenn ihr euch nur schön artig benehmt und eure städtische Identität aufgebt, dann wird schon alles gut werden.

Zudem fällt „Gui Tu“ auch noch weit hinter die avancierte technische Qualität zurück, die Filme aus Hongkong sonst auszeichnet. Vor allem der grimassierende, sich melodramatisch hin- und herwerfende Hauptdarsteller Roy Chan agiert wie ein Kind, das Gangster spielt. Und Ray Leungs ästhetische Mittel kommen ebenso klischeehaft daher wie seine Geschichte: Hektische Bildfolgen aus der Stadt kontrastieren mit weiten, raumgreifenden Einstellungen, die die zu beackernde Scholle zeigen. Die kalten Farben eines regennassen Hongkong stehen im Gegensatz zum warmen, ockergelben Staub des „Mainland“.

Thomas Winkler

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