: Mit Verträgen in der Tasche
■ Touristen in Sachen Wirtschaftspolitik strömen ins Reich der Mitte
Der Tourismus hat sich schnell von den politischen Einflüssen erholt.“ Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 gerät langsam in Vergessenheit. Blieben noch vor fünf Jahren die meisten der 351.000 Hotelbetten leer, so lockt das derzeit noch gute Preis-Leistungs-Verhältnis immer mehr Touristen an. 1993 zählte China insgesamt 38,11 Millionen Besucher, darunter 121.000 deutsche Gäste. 1994 sieht Li Hanbo, Direktor des chinesischen Fremdenverkehrsamtes, ein Anstieg um ca. 10 Prozent.
Einige prominente Besucher aus Politik und Wirtschaft wie Helmut Kohl, Eberhard Diepgen und Erwin Teufel trugen auch zu diesem positiven Ergebnis bei. So wurde Bundeskanzler Kohl im November 1993 von Günter Rexrodt (Wirtschaft), Carl-Dieter Spranger (Entwicklung), Wolfgang Bötsch (Post) und Paul Krüger (Forschung) sowie 35 Unternehmern begleitet. Verträge über 2,7 Milliarden Mark kamen bei dieser Reise heraus. Sie betrafen vor allem Airbusflugzeuge, die U-Bahn in Kanton, Reisezugwagen und Telefontechnik. Hinzu kamen Absichtserklärungen („Letters of Intents“) im Gesamtvolumen von 4,6 Milliarden Mark. Der Berliner Bürgermeister Diepgen machte sich Anfang April 1994 mit 52 Personen auf ins Reich der Mitte. Er konnte mit 24 Kooperationsverträgen und einem Auftragsvolumen von 200 Millionen Mark aufwarten. Gleichzeitig wurde eine im Berliner Senat heftig umstrittene Städtepartnerschaft mit Peking eingegangen. Der Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, Erwin Teufel, füllte Ende April 1994 gleich mit 100 Begleitern aus Industrie und Wissenschaft für zehn Tage die chinesischen Hotelbetten. Daß es sich dabei um die bislang größte Delegation aus dem westlichen Ausland handelte, war von chinesischer Seite als Zeichen für ein besonders großes Interesse an einer engen partnerschaftlichen Zusammenarbeit gewertet worden. Die Teilnehmer der baden- württembergischen Delegation überraschten ihre chinesischen Partner mit „außergewöhnlichen“ Ideen. Dietrich Schroeder, Vorstandssprecher der Leonberger Bausparkasse, legte den Chinesen das deutsche Bausparwesen ans Herz. Er ließ Zhu Rongji ein Memorandum überreichen, in dem er genau erklärte, wie er sich das vorstellt. „Der kleine Mann muß geliftet werden. Wohneigentum schafft Leute, die nicht demonstrieren.“ Die Philosophie der schwäbischen Häuslebauer als konstruktiver Vorschlag für die chinesische Innenpolitik!
Porsche-Chef Wendelin Wiedeking hingegen träumt davon, ein Familienauto zu entwickeln, das speziell auf chinesische Verhältnisse zugeschnitten werden soll. Selbstverständlich mit einem Motor ohne Katalysator, da in China bisher kein bleifreies Benzin verfügbar ist. Auf deutschen Straßen dürfte der Wagen unterhalb der Golf-Klasse nie fahren, aber dafür wird er ja auch nicht konzipiert. Bei Porsche nimmt man an, daß von dem geplanten Familienauto bereits in der Startphase 100.000 Stück pro Jahr verkauft werden können und daß im Laufe der Zeit das „Volk der Radfahrer“ zunehmend auf Autos umsteigt. Man kann nur hoffen, daß sich dann wieder ein gewiefter Schwabe findet, der spezielle Gasmasken oder Hautschutzanzüge entwickelt. Die werden dann fürderhin, wenn sich die Autoabgase dieser Familienkutsche langsam über den Globus verteilen, nicht nur die 1,17 Milliarden Chinesen benötigen. (Der Anteil der VR China an der globalen Kohlendioxyd-Emission liegt derzeit bei 9,5 Prozent.)
Aber egal mit welchen Intentionen die einzelnen Besucher nach China kamen, welche Vorstellungen sie hatten, was für Vereinbarungen sie trafen, in einem waren sich alle einig: Wer mit China Geschäfte machen will, muß Zeit und Geduld haben. Es werden also noch viele Reisen gebucht werden. Herr Li Hanbo vom chinesischen Fremdenverkehrsamt kann frohlocken und sich daran ergötzen, wie die Besucherzahlen in die Höhe schnellen, denn dank der Initiative von Herrn Dietrich Schroeder wird nichts den himmlischen Frieden mehr stören. Heidi Schirrmacher
Eine nützliche Adresse für Besucher: Botschaft der Volksrepublik China (Visastelle), Kurfürstenallee 12, 53177 Bonn, Telefon: 361095-98, Fax: 361635
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