: Mit dem Stoffball fing er an
■ Unglaublich: Werder-Trainer Otto Rehhagel nach 14 Jahren Bremen bald ein Bayer
14 Jahre – länger als jede Ampel – hielt in Bremen die „Ottokratie“. Die Regentschaft des Bremer Fußballehrers ist und bleibt beispiellos in ihrer Dauer und Intensität. Als er kam, waren die Bremer ganz unten. In der 2. Liga stand der SV Werder zwar an der Tabellenspitze und war auf dem besten Weg, den direkten Wiederaufstieg zu schaffen, sah das Ziel aber durch den plötzlichen Ausfall des Trainers Kuno Klötzer (Sportlehrer hießen damals wirklich so!) gefährdet. Das Präsidium pflanzte zunächst den Manager Rudi Assauer als Notnagel auf die Bank und suchte dann nach der „längerfristigen Lösung“. Bis zu diesem Zeitpunkt, 1981, galt Otto Rehhagel als „hire and fire“-Mann. Mit ihm versprachen sich etliche Mannschaften (Saarbrücken, Offenbach, Düsseldorf) den kurzfristigen Erfolg.
„Mein Vater war Bergmann. Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Ich bin im Krieg großgeworden. Nach dem Krieg haben wir wochenlang nichts Richtiges zu essen gehabt. Ich habe mir das hier ganz ehrlich, step by step, erarbeitet. Ich sage mir: Otto, du hast es verdient. Du hast echt was dafür getan.“ Seine Herkunft ist für Otto Rehhagel das Maß aller Dinge: „Früher mußten wir uns nach dem Krieg alles erkämpfen. Heute lachen die Jungs, wenn man erzählt, daß wir nach dem Krieg mit dem Stoffball gespielt haben. Die Leute heute werden anders groß. Denen wird es einfacher gemacht.“
Am 9. August 1938 in Sichtweite der Zeche „Helene“ in Altenessen geboren, wußte Rehhagel früh: „Du mußt es zu was bringen. Weg von diesen Trümmern, dem Hunger, der Not. Der einzige Weg war der Fußball.“ Er spielte zunächst beim örtlichen Club TUS Helene, wechselte dann 1960 als Vertragsspieler zum Konkurrenten Rot-Weiß Essen in die Oberliga. Auf dem Platz zeigte er sich bissig, hart, kompromißlos – sein Kampf hatte begonnen.
Tore zu verhindern, wurde seine Profession, als er nach Einführung der Bundesliga 1963 bei Hertha BSC Berlin einen Vertrag unterschrieb. „Ich bin derjenige, der die Kette durchbrochen hat“, sagte er später, stolz, nicht die Familientradition als Bergmann fortgesetzt haben zu müssen. Nach Herthas Abstieg wechselte er 1966 zum 1. FC Kaiserslautern und feilte weiter an seinem Ruf: „Mit 28 hatte ich schon mein Image. Wenn die mich gesehen haben, haben die schon die Hosen voll gehabt.“ Mit 34 Jahren beendet, nach einem seiner zahllosen Zweikämpfe, ein kaputtes Knie die aktive Laufbahn als Fußballer.
Nahtlos schließt sich der erste Trainerjob beim Regionalligist Saarbrücken an, beovr er Gyula Lorant bei den Offenbacher Kickers in der ersten Liga beerbte. Dort sorgte er für Furore, als ausgerechnet der FC Bayern 6:0 geschlagen wurde. Im Dezember 73 wollte sich niemand mehr an den Erfolg erinnern; Rehhagel wurde gefeuert.
Er ging zum ersten Mal nach Bremen, weil Werder in Abstiegsnot geraten war. Als der Job erledigt war, wechselte er zum Traumverein eines gebürtigen Ruhrpöttlers, zu Borussia Dortmund. Doch auch diese Liaison endete abrupt, als der BVB am letzten Spieltag der Saison 77/78 mit 0:12 gegen Mönchengladbach die höchste Nieder- der Bundesligageschichte kassierte. Rehhagel bekam den Namen Otto „Torhagel“.
Wenn man beim SV Werder eines Tages mit viel Ruhe auf die Ära Rehhagel zurückschauen wird, dann wird es zweifellos die erfolgreichste der Vereinsgeschichte sein. Nach dem Aufstieg landete die Elf auf Platz 5 und damit direkt im internationalen Geschäft. Dar Trainer begann sein besonderes Glückshändchen bei Neuverpflichtungen mehr und mehr unter Beweis zu stellen. Neubarth, Meier, Okudera, Völler, Riedle, Burgsmüller, Allofs – die Liste der charismatischen Kicker ist verblüffend lang. Fast zwangsläufig stellten sich die Erfolge ein.
Das sympathisch-vergebliche Anlaufen gegen bajuwarische die Übermacht Mitte der 80er münzten die Bremer erstmals 1988, mit dem Gewinn des Meistertitels, um. Danach begann das grün-weiße Märchen. Sieben Jahre dauerte die rauschende Ballnacht. Unstrittig, daß der Trainer ideale Bedingungen vorfand, er konnte all seine Vorstellungen komplett und meist im Alleingang umsetzen. Davon hat Rehhagel gelebt, das hat er auch reichlich zurückgezahlt.
Daß dieser Mann jetzt (wahrscheinlich schon am 1. Juli) ausgerechnet ins Zentrum deutscher Fußballmacht wechselt, kann nur als besonders diabolisches Werk gewertet werden. Ob Manager Lemke nun den Effenberg-Transfer verbaselt oder Präsident Böhmert die Lage wirklich völlig falsch eingeschätzt hat, spielt historisch keine Rolle. Otto Rehhagel, der in all den Jahren seines Bremen-Engagements mit Angeboten anderer Interessenten überhäuft wurde, hatte stehts abgelehnt, weil sie „...meist zur falschen Zeit kamen“. Diesmal kam das Angebot offenbar genau zur richtigen Zeit. Norbert Kuntze
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