: Die UNO-Mission in Somalia ist zu Ende. Die US Army deckt den Abzug der letzten Soldaten und Helfer. Somalia knistert vor Spannung: Kommt Bürgerkrieg oder die Versöhnung? Aus Mogadischu Bettina Gaus
Jetzt geht alles sehr schnell
Offiziell haben die UNO-Truppen in Somalia ein Mandat bis zum 31. März. Dieses Datum aber steht nur noch auf dem Papier. „Am 28. Februar wird hier unser letztes Flugzeug abheben“, erklärt UNO- Sprecher George Bennett.
Es geht jetzt alles sehr schnell. Täglich verlassen Hunderte Blauhelme Somalia. Ende dieser Woche werden fast keine ausländischen Zivilisten mehr in Mogadischu arbeiten. „Was wir an Einrichtungen im Hafen und am Flughafen zurücklassen, ist noch in der Diskussion“, sagt Bennett.
Für diese Diskussion gibt es einen Grund: Ein Komitee mit Vertretern aus dem Norden und aus dem Süden Mogadischus, den Einflußzonen der verfeindeten Fraktionschefs Ali Mahdi und Farah Aidid, hat die UNO in einem Schreiben gebeten, die Installationen intakt zu lassen. Es werde daran gearbeitet, „eine gemeinsame Verwaltung von Hafen und Flughafen zu ernennen, um die Kontinuität dieser lebenswichtigen Dienste zu gewährleisten“, heißt es in dem Brief.
Geschäftsleute aus beiden Teilen der Stadt haben ein vitales Interesse am Erfolg der Verhandlungen. „Geschäft kennt ohnehin keine Fraktionsgrenzen“, erklärt Ahmed Mohammed Muamud, der an Importen von Lebensmitteln und Benzin beteiligt ist. Schiffsladungen würden bereits seit Jahren von Importeuren aus dem Norden und dem Süden Mogadischus gemeinsam eingebracht. „Man muß die Geschäfte zusammen machen. Sonst ist auch die Gefahr zu groß, daß die Güter von der jeweiligen Gegenseite geplündert werden.“
Leiter des Komitees ist Ali Ugas, ein geachteter Ältester aus altem Königsgeschlecht. Er setzt große Hoffnungen in diesen Beginn einer Verständigung: „Das Ziel des Komitees ist es, Lösungen für die politischen Machtkämpfe zwischen den somalischen Fraktionen insgesamt zu finden. Wir fangen mit den sensiblen Bereichen wie Hafen und Flughafen an, damit die Dinge nicht außer Kontrolle geraten. Aber am Ende soll die politische Versöhnung aller Somalis stehen.“ Auch Ali Ugas gibt jedoch zu: „Es gibt Elemente, die von einer Fortsetzung des Bürgerkrieges profitieren.“
Wird es noch vor dem Abzug der UNO-Truppen zu einem neuen Ausbruch der Kämpfe kommen? Diese Frage beherrscht die Diskussion in Somalias Hauptstadt. Dabei hat sich im Straßenbild Mogadischus in den letzten Wochen kaum etwas verändert. Nach wie vor fahren verbeulte Kleinbusse als öffentliche Verkehrsmittel durch die Stadt. Zwischen den Ruinen haben die Läden weiterhin geöffnet, die von Ersatzteilen für Computer bis zur Kernseife fast alles anbieten, was auch anderswo auf der Welt zu kaufen ist. Frauen stehen in langen Schlangen vor den öffentlichen Brunnen, um ihre Plastikkanister mit Wasser zu füllen, das auch mehr als zwei Jahre nach Beginn des gescheiterten UNO-Einsatzes nur aus wenigen Wasserhähnen Mogadischus fließt. Schüsse sind selten zu hören.
Und doch läßt sich die Spannung in der somalischen Hauptstadt mit Händen greifen.
In der Nähe der internationalen Hilfsorganisationen stehen die Verkaufsbuden leer. Die Betreiber wollen den Verlust ihrer Waren nicht riskieren, falls Gefechte ausbrechen. Die bewaffneten Begleiter, ohne die kein Fahrzeug mehr unterwegs ist, entsichern ihre Gewehre in Sekundenschnelle, wenn sie Gefahr wittern. Am Eingang zum Flughafen hupen die Autofahrer – die Waffenkontrollen der UNO-Soldaten dauern lange. Hier gilt die Lage als besonders explosiv, hier ist der einzige Ort, an dem es bereits zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen ist. Aber noch findet der Krieg vor allem in den Köpfen statt.
An einem Nachmittag Ende letzter Woche krachten Artilleriegeschosse. Das Krachen kam aus der Richtung des Flughafens. Aidid-Anhänger sollen versucht haben, ein US-Flugzeug abzuschießen, lautet die Nachricht, die sich in Ali Mahdis Territorium im Norden Mogadischus mit Windeseile verbreitet. Eine Bestätigung für das Gerücht ist weder von UNO- Sprechern noch aus Kreisen von Aidids Anhängern zu erhalten.
Aber nicht wenige in Mogadischu erwarten den neuen Kampf der Giganten – einen Zusammenprall zwischen Aidids Kriegern und den Soldaten der US-Armee, die den Abzug der UNO-Truppen decken sollen. Nur über den Zeitpunkt herrschen Differenzen: „Ich bin zu früh gekommen“, meint ein britischer Journalist, der erst mal nach Kenia zurückkehren will. „Ich komme nächste Woche wieder. Dann geht's los.“ Was geht los?
Die Giganten sind keine Giganten mehr. Das einzige Interesse der US-Regierung ist es, möglichst all ihre Soldaten mit heiler Haut aus Somalia wieder herauszubringen. Ansichten wie die von Aidids Sprecher Abdi Abshir Kahiye rufen bei Journalisten darum ein müdes Lächeln hervor. „Ich habe den Verdacht, daß es doch einen geheimen politischen Plan gibt“, sagt dieser. „Warum kommen die Amerikaner zurück? Wir werden keine Einmischung in unsere Angelegenheiten dulden.“
Farah Aidid ruft unterdes seine Anhänger zu Kundgebungen gegen die USA auf. „US-Kolonialpolitik läßt sich in Somalia nicht verkaufen“, ist auf Spruchbändern zu lesen. Die Bilder erinnern an 1993. Damals war es dem geschwächten Ex-General der somalischen Armee gelungen, durch einen Konflikt mit UNO-Truppen auch Kritiker in den eigenen Reihen zurückzugewinnen. Die UNO bombte ihn buchstäblich an die Macht zurück.
Aber auch Farah Aidid ist heute kein Gigant mehr: Sein Hauptgeldgeber, der Geschäftsmann Osman Atto, hat sich von ihm losgesagt. Atto unterstützt die Bemühungen um eine fraktionsübergreifende Verwaltung von Hafen und Flughafen. Die Zahl derer, die keine Rückkehr zu den blutigen Auseinandersetzungen der letzten Jahre wünschen, wächst. Aber das Mißtrauen aller Beteiligten ist so groß, daß ein einziger dramatischer Zwischenfall genügen kann, alle Bemühungen um Verständigung zunichte zu machen.
„Es gibt jetzt viele somalische Intellektuelle, die davon sprechen, daß eine ,dritte Kraft‘ entstehen muß. Sie wollen alle Fraktionschefs der letzten Jahre, vorneweg Ali Mahdi und Farah Aidid, weghaben. Für Europäer hört sich das immer gut an. Aber es ist Unfug“, sagt der Ingenieur Abdukhadir Abdi Mohamed, Delegierter des fraktionsübergreifenden Komitees von der Seite Ali Mahdis. „Wir wissen auch, daß die sogenannten Kriegsfürsten schlimme Dinge getan haben. Aber die Rivalitäten zwischen den Clans sind eine Realität. Aidid kann nur existieren, weil es seinen Habr-Gedir-Clan gibt. Und den wird es auch weiterhin geben. Also müssen wir uns mit Aidid verständigen, anstatt ihn uns wegzuwünschen.“ Die Frage ist nur, wieviel Zeit dafür noch bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen