: Ausgerechnet Monopoly
Freier Blick auf das „Ende des Jahrhunderts“: Drei Filme über Kuba imForum ■ Von Thomas Winkler
Der häufigst gesprochene Satz in „Fin de Siglo“ lautet: „Das ist leider alles, was wir im Moment im Angebot haben.“ Verkäuferinnen in Kittelschürzen beschließen mit ihm ihre Ausführungen über die Warenpalette ihres Kaufhauses mit dem hübschen und im Moment leider auch noch so zutreffenden Namen „Ende des Jahrhunderts“.
Marilyn Watelt und Szymon Zaleski haben im größten Warenhaus Kubas den Folgen der Wirtschaftsblockade durch die USA nachgespürt, die nun schon 36 Jahre währt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satelliten ist Kuba nun völlig isoliert und befindet sich offiziell in der „Sonderperiode“. Um die zwangsläufig enstandenen Mangelerscheinungen zu dokumentieren, bot sich dieser Ort des Konsums also geradezu zwangsläufig an.
Die Dokumentation bleibt dabei ganz konsequent bei den ökonomischen und sozialen Symptomen. Von dem Moment an, in dem die Kamera nach einigen wenigen Straßenszenen aus Havanna ins Fin de Siglo hineinfährt, verläßt sie das Gebäude nicht mehr. Aber der Versuch, das Kaufhaus als Feld menschlicher Beziehungen und Schicksale zu begreifen, wird erst gar nicht unternommen. So bleibt der Blick frei für die kleinen alltäglichen Fakten und wird durch nichts Menschelndes getrübt. Die Verkäuferin in der Schuhabteilung präsentiert Zitronenpressen. Brautpaare kommen aus dem ganzen Land, um gegen ihre speziellen Bezugsscheine einen BH oder etwas Shampoo zu bekommen. Die Kriegswirtschaft regiert, ohne Bezugsscheine gibt es nur unnütze Figuren aus Pappmaché. In der letzten Einstellung verlischt das Licht im Kaufhaus, aber durch die Fenster scheint noch der Tag herein.
Was draußen passiert, erzählt – ein wenig zumindest – „Madagascar“, das zwar als die herkömmliche Geschichte einer Mutter- Tochter-Beziehung daherkommt, aber doch auch auf die spezielle kubanische Situation verweist. Hinter dem klassischen „Ich will nicht so werden wie du“ der Tochter blitzen kleine Hinweise auf: Die Oma spielt ausgerechnet Monopoly, im Büro der Mutter stapeln sich die Bücher auf dem Boden, weil es keine Regale gibt. Und dann dräut noch, der auch sonst sehr lateinamerikanischen Erzählweise angemessen, die Symbolik: Kuba ist sehr verregnet in diesem Film, gegen Ende wird es auch noch neblig. Das beschwörend wiederholte Wort „Madagaskar“ wird zum Symbol für die Flucht aus Kuba, die Flucht aus Beziehungen, die Flucht vor sich selbst.
In „Quiereme y veras“ sucht man noch vergeblicher nach einer direkten Auseinandersetzung. Erzählt wird die Geschichte dreier Bankräuber, deren größter Coup ausgerechnet durch das Ausbrechen der Revolution zunichte gemacht wurde. In der Bank, die sie damals ausnehmen wollten, befindet sich jetzt die Zahlstelle, bei der sie ihre Rente abholen. Der Film spielt zwar mit Elementen der Schwarzen Serie, bleibt aber immer behutsam und langsam erzählend. Und daß die romantische Suche des Protagonisten nach seiner Jugendliebe ausgerechnet bei einer Schwarzmarktkönigin endet, die illegal Shampoo produzieren läßt, schließt ganz wunderhübsch den Kreis zum „Fin de Siglo“.
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