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In Sachen „Auschwitz-Mythos“

■ betr.: „Ein Justizskandal, der kei ner ist“, taz vom 10. 2. 95

Es geht mir im folgenden nicht um die Schwierigkeit der Umsetzung des „Volksverhetzungsparagraphen“ und auch nicht um den Charakter des Amtsrichters Albrecht Kob, sondern um die Klärung der Bedeutung des Wortes „Mythos“ im „Ansagetext“ des „Nationalen Info-Telefons“.

Macht man sich die Mühe, alte, aber leider nicht gängige Definitionen der Sprachwissenschaft zu nutzen, läßt sich die Bedeutung schnell erschließen. Mit Roland Barthes (Mythen, 1964, S. 92) läßt sich Mythos als ein „sekundäres Bedeutungssystem“ begreifen, eine „zweite Sprache (...), in der man von der ersten spricht“. Anders als ein Wort wie Tisch, dem kaum seine primäre Bedeutung genommen werden kann, weil das Bezeichnete als Konkretes allgegenwärtig ist, bedarf ein abstraktes Wort wie zum Beispiel „Freiheit“, aber auch „Mythos“, immer einer Definition, um nicht der im Sinne des Sprechers „willkürlichen“ Bedeutungssetzung des Hörers ausgesetzt zu sein. Doch überläßt der Autor eines Textes in der Regel dem Leser nicht diese Bedeutungssetzung, sondern leitet die Assoziation des Lesers durch den unmittelbaren schriftlichen oder auch den aktuellen gesellschaftlichen Kontext.

Natur- oder Abstammungssymbole sind die traditionellen Bilder der Mythosproduktion. So kommt es, daß mit dem Wort Mythos meist die Bedeutungsmerkmale des „ewigen“ und/oder „zyklisch wiederkehrenden“ wachgerufen werden. Doch ist diese durch Konvention stabilisierte Bedeutung des Wortes Mythos von dem beschriebenen Produktions- und Wahrnehmungsmuster der Mythisierung, das heißt der Entkonkretisierung von Wörtern und deren über Symbole dem Leser vermittelte Bedeutungssetzung, kategoriell zu unterscheiden.

Nimmt man Wittgensteins Erkenntnis, daß „der Gebrauch die Bedeutung bestimmt“, ernst, so läßt sich die Bedeutung des Wortes „Auschwitz-Mythos“ in dem „Ansagetext“ leicht als „Auschwitz als Fiktion“ oder eben „Auschwitz ist eine Lüge“ deuten. Denn der Kontext ist voll von Wörtern, die eine Bedeutungsebene „Fiktionalität“ beziehungsweise „Lüge“ aufbauen. So wird der Film „Schindlers Liste“ als „Seifenoper des Juden Spielberg“ disqualifiziert. Ins Auge springt die strukturelle Analogie zu „Auschwitz-(als)Mythos“, dem Leser wird analog zum Film nahegelegt zu ergänzen: „Auschwitz-(als)Mythos“ „der Juden“. Weiter werden die, die „Schindlers Liste“ gesehen haben, als „Manipulierte“ – das heißt doch wohl: einer Lüge aufgesessene Opfer einer Medienpropaganda (zu ergänzen wäre notorisch „jüdischen“) – abqualifiziert. [...]

Von völlig anderer Qualität ist das, wovon Horst Meier spricht, wenn er eine „mythische Qualität“ des „Gedächtnisses der Menschheit“ in die Reflexion über das Erinnern an Auschwitz einführt. Offensichtlich bezieht er sich damit auf die von Martin Broszat eingeführte „mythische Erinnerung“ (V.J. f. Zeitgeschichte 1986) der überlebenden Opfer. Hier geht es um eine Entkonkretisierung der die Nazi-Greuel beschreibenden Worte durch die Unbeschreibbarkeit eben des Ungeheuerlichen selbst. Die vorhandenen, analytischen Worte reichen nicht aus und können nicht ausreichen, die Bestialitäten von Auschwitz zu beschreiben, weil wir Zuhörer diese Erfahrungen nicht annähernd gemacht haben. Jedes Erzählen der Erinnerung der wenigen Überlebenden von Auschwitz wird durch den Mangel der Worte und nicht einer verharmlosenden Intention entkonkretisiert. Ihre Symbole stammen aus der Allgegenwart des Todes, zu dessen tradiertem Bedeutungsmerkmal das der „Ewigkeit“ gehört. Bedenkt oder fühlt man dieses Ungenügen der Worte, sind die „mythischen Erinnerungen“ der Überlebenden jedoch keine unausweichliche Relativierung, sondern bleiben authentisches Zeugnis über die Realität Auschwitz. Dieter Heger, Berlin

Ein Glück, daß es Horst Meier gibt. Und ein Glück, daß die taz ihn immer mal wieder die Maßstäbe für Rechtsstaat und zivile Gesellschaft zurechtrücken läßt, die von Ideologen aller Couleur usurpiert werden, wenn sie „gut gemeint“, Moral oder ihren vielleicht sogar wünschenswerten politischen Wertekanon mit Recht verwechseln.

Horst Meier hat in seiner Stellungnahme zum Freispruch des Hamburger Amtsgerichtes in Sachen „Auschwitz-Mythos“ verdeutlicht, daß man juristische und rechtspolitische Analysen nicht denen überlassen darf, die meinen, ihre jeweilige Klientel bedienen zu müssen.

Ein bezeichnendes Beispiel scheint mir in diesem Zusammenhang die von Meier zitierte Krista Sager als Sprecherin der Bündnisgrünen zu sein, die es eigentlich schon mal besser gewußt hat und sich mutig und verdienstvoll mit der oft allzu selbstherrlichen und verächtlichen Denkweise ihrer grünen Basis in Hinblick auf Rechtsstaat und zivile Gesellschaft auseinandergesetzt hat.

Es ist für die Festigung rechtsstaatlichen Bewußtseins eher schädlich, wenn Krista Sager von den Bündnisgrünen und all die anderen Aufrechten die Chancen, die dieses Urteil birgt, nicht selbstbewußt und offensiv nutzten: Der Rechtsstaat gilt für alle, heißt diese politisch-argumentative Chance.

Das ist der in jede Richtung zu verteidigende Maßstab, und darin begründen sich Glaubwürdigkeit und Charme dieser fragilen Institution „Rechtsstaat und Republik“ – auch und gerade für die junge Generation. Peter Schwanewilms, Hamburg

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