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Sargnagel des Genres

Die womöglich letzten kreativen Zuckungen der Martial-Arts-Komödie: Hongkong-Filme im Forum  ■ Von Thomas Winkler

Wenn in Hongkong ein Film die Kinos zum Bersten füllt, hängen sich sofort sämtliche Produktionsfirmen an diesen Trend an, und meist vergeht gerade mal ein halbes Jahr, bis 20 oder 30 Filme mit ähnlichem Inhalt und Form in den Verleih kommen. Eine Zeit, in der in Hollywood noch nicht einmal Schreibtische zusammengerückt worden sind. Dieses prompte Reagieren auf den Markt ist allerdings nur möglich, weil es so gut wie keine gewerkschaftlichen Rechte gibt und man in der britischen Kronkolonie perfekt das alte Studio-System Hollywoods kopiert hat. Ähnliches gilt für das Starsystem, das seine Darsteller auf gewisse Rollentypen festlegt und sie in nahezu allen Filmen eines Genres einsetzt, um den finanziellen Erfolg zu sichern. Das führt dazu, daß manche Schauspieler, aber auch Regisseure und Produzenten, an einem halben Dutzend Filmen gleichzeitig arbeiten. Diese Zustände erklären auch, warum die bei den Zuschauern in Hongkong beliebtesten Genres, der Triaden-Gangster-Film und der Martial-Arts-Film, eine solch rasante Entwicklung durchlaufen, daß sie innerhalb weniger Jahre bereits ausgereizt sind.

Trotzdem sind beide Genres weiter erfolgreich, weil sie die regelmäßig auftretenden toten Punkte mit neuen Kreativitätsschüben zu überwinden wissen. Den Triaden-Krimis – die mit dem Abgang von John Woo nach Hollywood, wo er zuletzt Jean-Claude Van Damme durch seine wahnwitzigen Actionszenen hetzte, auch noch den Verlust seines avanciertesten Regisseurs zu verkraften hatten – passierte das ebenso wie den Kampffilmen. Die erfuhren zum Beginn des letzten Jahrzehnts eine gehörige Auffrischung durch die Einführung von Geisterelementen. Und zuletzt wurde der Humor, den die Geister mitgebracht hatten, immer wahnwitziger. Im diesjährigen Forum fanden sich zwei Filme, die zwar als Parodien angelegt sind, letztlich aber die endgültig letzten Zuckungen der historischen Martial-Arts-Komödie darstellen.

„The New Legend of Shaolin“ löste bei der Vorführung im zu zwei Dritteln mit Chinesen besetzten Delphi hemmungslose Begeisterung aus. Die von Yuen Kwai perfekt choreographierten Kampfszenen sprühten vor kleinen Ideen und ließen Leichenberge zurück, die Grund zu ausgelassener Heiterkeit boten. Kinder freuten sich auf dem Schoß ihrer Eltern, wenn ein simples Maßnehmen beim Schneider zur Kung-Fu- Einlage entartete. Mit völlig unbewegten Mienen spazierten Heldenväter und Heldensöhne wie Jake und Elwood durch die um sie herumtobenden Bösewichter. Komödien-Altmeister Wong Ching, der sich eine ganze Weile mit Gambler-Filmen über Wasser halten mußte, hat sich ausgiebig beim Witz-durch-emotionales-Understatement der „Blues Brothers“ bedient, schreckt aber auch vor rüdem, anzüglichem Humor nicht zurück. Trotzdem ein Familienfilm – jedenfalls für chinesische Familien. Außerdem ist es doch sehr beruhigend, daß man ins Kino gehen kann, und dort die Guten noch weiß gekleidet sind, während die Bösen ausschließlich schwarz tragen. „The New Legend of Shaolin“ bringt alle guten Eigenschaften der Schwertfeger-Filme auf den Punkt.

„The Eagle-Shooting Hero“ von Jeff Lau dagegen ist der Sargnagel des Genres. Noch schneller montiert, nur mehr auf Effekte und den nächsten Gag ausgerichtet, verliert er den Erzählrhythmus völlig. Da hilft es auch nicht, daß die im Genre schon so oft erzählte Geschichte von den vielen Guten, die sich erst zusammenraufen müssen, um den einen Bösen erledigen zu können, noch einmal aufgekocht wird.

Nach einer Stunde ist man übersättigt, erschlagen, durchgewalkt, aber Lau läßt nie locker, der ständige Geschlechterwechsel tut ein übriges. So gehetzt, wie sich die Regisseure fühlen müssen, denen das Publikum in Hongkong auch keine Verschnaufpausen gönnt. Kaum vorstellbar, daß der Wahnsinn noch weiter getrieben werden kann. Das glaubt auch der Hongkonger Filmkritiker Jimmy Ngai: „Insgesamt gibt es keine Möglichkeit, in der Populärkultur Hongkongs noch weiter zu gehen“. Aber lassen wir uns überraschen, es wäre nicht das erste Mal.

„Hong Xiguang“ (The New Legend of Shaolin), Regie u. Buch: Wong Ching, Action-Director: Yuen Kwai, Mit: Li Lian Jie, Yau Shuk Ching, Dannie Ip, Lau Chung Yan, Hongkong 1994, 95 Min.

„Dong Cheng Xi Jiu“ (The Eagle-Shooting Hero), Regie: Jeff Lau, Action-Director: Sammo Hung, Mit: Leslie Cheung, Brigitte Lin Ching-hsia, Tony Keung Kar-fai, Jacky Cheung, Tony Leung Chiu-wai, Hongkong 1993-94, 116 Min.

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