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Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar

... hat ein Gesicht bekommen. Eins, das ganz seriös wirkt und eine Ruhe ausstrahlt, die den Betrachter solide besänftigt. Eins, das so vertraut ist wie die eigene Kaffeemaschine und zum bundesdeutschen Alltag gehört seit Generationen. Das Gesicht hat einen Namen: Werner Veigel. Was für eine schöne Überraschung! Darauf wäre doch wirklich keiner gekommen. Schließlich weiß man, wie so einer aussieht: Entweder trägt er Leder, hat einen Schnäuzer und hält seine Hand ständig zwischen den Beinen. Oder er ist ganz Dame im Affekt und mit einer Stimme, die noch jedes Glas zerspringen läßt.

Doch auf einmal ist alles anders, eine neue Zeitrechnung beginnt. Seit Veigels öffentlichem Beitritt zu besonderen Spezies überschlägt sich die Boulevard-Presse vor Begeisterung. „Respekt, Herr Veigel!“, lobt der Express; ein „Appell an unsere Toleranz“, analysiert die Berliner BZ. „Mutige Worte“ attestiert der Stern. Die Nation dankt. Wen hatte man denn bislang im Angebot? Ein paar Hanseln, nicht mal die fünf Finger einer Hand. Der schrille Rosa von Praunheim, der alberne Hape Kerkeling, die Plaudertasche Alfred Biolek. Ganz brauchbar und nicht ohne Unterhaltungswert, aber so richtig mehrheitsfähig ist erst der Mann, den sie „Mr. Tagesschau“ nennen.

Die BZ fährt gleich einen leibhaftigen Soziologen auf, um der feierlichen Initiation die wissenschaftliche Weihe zu geben. Denn – so lautet das ungeschriebene Medien-Abc – man nähere sich diesem Thema nie ohne akademische Begleitung. Erwin Haeberle heißt der BZ-Kluge und soll Professor sein in Spandau. Der Mann kann sich kaum halten vor Begeisterung: „Ich gratuliere Ihnen, Herr Veigel ... Sein Bekenntnis ist eine volksaufklärerische Sache ... eine Speerspitze im Kampf gegen unsere Vorurteile.“ Was hat Herr Veigel, was die anderen nicht haben? Haeberle: „Er ist völlig normal, hat nichts Tuntenhaftes.“

Aha. Nur wer normal ist, ist völlig „normal“. Da wird eine alte Kategorie neu geöffnet, und die Schwulenbewegung ist Neese. „Wir sind so lange schwul, solange Ihr normal seid“, skandierte die dereinst. Und zwanzig Jahre später stellt der gesellschaftliche Fortschritt die trotzigen Wahrheiten auf den Kopf. Doch darf sich keiner beschweren, schließlich baggert der organisierte Teil der Bewegung seit Jahren an nichts anderem als an der Hochzeitstorte – Standesamt und Trauschein, die Prestigenummer. Was aber passiert mit all den anderen? Die Tunten und die Lederkerle? Die Klappengänger und die Kulturhuschen? Die Alten und die Ängstlichen? Die Freier und die Fickprofis? Die ganze Bagage halt, die nur als Skandal für die Schlagzeilen taugt und so gar nichts Friedfertiges zu bieten hat für den gewöhnlichen Kleingeist. Abtreten? Umpolen? Wegschließen? Als König Hippie noch regierte, firmierten die unter der Formel von den schwulen Lebensweisen, und die Gemeinde war stolz darauf, bunt zu sein und unangepaßt. Und heute alles Zweireiher?

Die Antwort darauf kommt aus den USA. Da veröffentlicht Bruce Bawer ein herzergreifendes Plädoyer für die Anpassung der Schwulen, „A Place At The Table“, und skizziert darin die kleinen Tricks mit großer Wirkung: „Kurzes Haar, ein Anzug und eine Krawatte“.

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