: Via „Bildungsmarkt“ auf den harten Arbeitsmarkt
Interview mit den Leiterinnen des „Bildungsmarkts“ in Berlin-Tiergarten ■ Von Halil Can
taz: Was ist der „Bildungsmarkt“ und was bietet er an?
Eva Braun: Der Bildungsmarkt ist ein gemeinnütziger Verein, der seit 1986 besteht. Ursprünglich entstand er auf Initiative von Kollegen der Volkshochschule Tiergarten, die mit dem Ziel der Qualifizierung arbeitsloser Jugendlicher diesen Verein gründeten. So wurden für Jugendliche ohne Hauptschulabschluß in den Werkbereichen Elektro, Metall und Hauswirtschaft berufsvorbereitende Maßnahmen durchgeführt. Später kam das kaufmännische Wissen dazu; insgesamt waren es 1987 sechs berufsvorbereitende Lehrgänge. Seit 1990 sind wir auch in Lichtenberg vertreten, seitdem wir unser Schwergewicht auf die Erstausbildung von Jugendlichen, die Kooperationsausbildung in Betrieben und Umschulung verlagert haben. Seit zwei Jahren bieten wir verstärkt Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gekoppelt mit Qualifizierung an, das heißt ABM und Hauptschulabschluß oder ABM und Realschulabschluß. Darüber wollen wir Jugendlichen zu einer finanziellen Basis und zu einem Schulabschluß verhelfen.
Wie sieht die Bildungsförderung in den berufsvorbereitenden Lehrgängen und in der Erstausbildung konkret aus?
Heike Bremeyer: Durch die berufsvorbereitenden Lehrgänge bekommen die Jugendlichen die Möglichkeit, ihren Schulabschluß nachzuholen, und durch die Erstausbildung erhalten sie einen qualifizierten Berufsabschluß.
Die berufsvorbereitenden Lehrgänge sind Vollzeitlehrgänge, das heißt, die Teilnehmer sind allgemein 40 Stunden im Haus, wovon etwa die Hälfte Unterricht ist in den Fächern, die für den einfachen Schulabschluß oder den erweiterten Realschulabschluß wichtig sind. Und 50 Prozent ist der sogenannte Praxisanteil ...
Braun: ... das heißt, sie arbeiten hier in der Werkstatt beziehungsweise im Rahmen von sozialpflegerischen Maßnahmen in Kooperation mit Sozialstationen.
Bremeyer: In bezug auf die Erstausbildung gibt es bei uns die Bereiche Metall, Elektrotechnik, Büro und Verwaltung sowie Gastronomie. Sie dauern im allgemeinen dreieinhalb Jahre ...
Braun: Auch diese Ausbildung schließt wie eine betriebliche Ausbildung vor der Innung beziehungsweise der Industrie- und Handelskammer ab. Es ist eine richtige offizielle Prüfung, nach der sie einen Beruf haben und vermittelt werden.
Wie viele Angestellte des Bildungsmarkts unterrichten und betreuen wie viele Teilnehmer?
Braun: Bildungsmarkt beschäftigt insgesamt etwa 90 Angestellte. Die Anzahl der Teilnehmer selbst liegt bei 800.
Welchen Anteil nehmen hierbei nichtdeutsche jugendliche Teilnehmer ein?
Braun: Im Ostteil gibt es kaum Teilnehmer nichtdeutscher Herkunft. Im Westteil muß man zwischen berufsvorbereitenden Lehrgängen und der Erstausbildung unterscheiden.
Bremeyer: Ich schätze, daß der Anteil bei berufsvorbereitenden Lehrgängen bei etwa 50 Prozent liegt.
Braun: Bei der Erstausbildung liegt er im kaufmännischen Bereich bei 70 Prozent und im Bereich Elektroinstallation bei 60 Prozent. Die Türken sind in der Mehrzahl.
Wie viele Angestellte ausländischer Herkunft beschäftigt ihr?
Bremeyer: Im Westteil, wo das wichtig wäre, haben wir nur einen türkischen Ausbilder, bei etwa 25 Lehrern und Ausbildern.
Wie kann man sich dieses ungleiche Verhältnis erklären?
Bremeyer: Auf unsere Vakanzen kamen relativ wenige Bewerbungen von Ausländern.
Bemühen Sie sich darum, nichtdeutsche Angestellte zu finden und einzustellen?
Braun: Wir haben gezielt gesucht. Es ist wirklich schwierig, jemanden zu finden, der die Erfahrungen bringt. Dazu zählen Erfahrungen im Antragswesen, also sehr viel Vorwissen in der Fördertechnik sowie im Bereich Sozialpädagogik. Da wären ausländische Mitarbeiter sogar sehr wichtig, weil wir durchaus Auseinandersetzungen haben, die kultureller Art sind ... So denke ich, daß jemand, der die Sprache der nichtdeutschen Teilnehmer verstünde, in Konfliktfällen besser eingreifen könnte.
Wenn man sich den Arbeitsmarkt anschaut, dann kann man eigentlich nicht sagen, daß es an qualifizierten arbeitslosen Sozialarbeitern nichtdeutscher Herkunft mangelt.
Bremeyer: Bei uns sind keine entsprechenden Bewerbungen eingegangen.
Inwieweit kann man sagen, daß sich die Bildungs- und Beschäftigungssituation für die Teilnehmer durch den Bildungsmarkt verbessert hat?
Bremeyer: Die Teilnehmer haben in der Regel nur Mißerfolge hinter sich. In der Schule sind sie gescheitert und kommen auch mit einer Abneigung gegen Schule hierher. Ich denke, daß ein Hauptschulabschluß – der gesellschaftlich gesehen gar nicht mal soviel Wert ist – zwar nicht alle Türen öffnet, aber eine Basisqualifikation darstellt und für die Schüler persönlich eine Stabilisierung bedeutet. Dieses Wissen, „ich kann es schaffen, ich kann es durchhalten“, das ist sehr wichtig und auch der größte Erfolg. Die Stabilisierung steht im Vordergrund.
Bei der Erstausbildung brauchen Teilnehmer ausländischer Herkunft mit Sprachproblemen einfach Zusatzunterricht, um in der Theorie nicht zu versagen ... Die Berufszeugnisse werden dann erstaunlich gut.
Welche Perspektiven haben nichtdeutsche Teilnehmer auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie den Bildungsmarkt verlassen?
Erst mal haben sie ihre Situation verbessert. Wir können aber den Arbeitsmarkt nicht beeinflussen. Die Verdrängung der ausländischen Jugendlichen aus dem Arbeitsmarkt, würde ich sagen, ist fakt. Da können wir versuchen, die Chancen zu verbessern, aber wir könne nicht die Rahmenbedingungen ändern.
Bestehen bestimmte Bildungskonzepte für die Zukunft?
Durch Jugendaustauschprogramme soll der Erfahrungsaustausch unter Jugendlichen aus verschiedenen Ländern gefördert werden. Im Bereich der Gastronomie existieren bereits Jugendaustauschprojekte mit Spanien und Italien. Außerdem versuchen wir, im Bereich der Erstausbildung Auslandspraktika zu organisieren.
Eine letzte Frage. Wie finanziert sich der Bildungsmarkt?
Gefördert werden wir von verschiedenen staatlichen Institutionen: von der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen; für Soziales; für Jugend; und der Bundesanstalt für Arbeit sowie dem Europäischen Sozial Fonds.
Kontaktadresse: Bildungsmarkt e.V., Waldenserstr. 2-4; 10551 Berlin, Tel: 3973910; Fax: 39739115
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen