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■ Bücher.kleinAndere Deutsche

„Andere Deutsche“ – der Titel verwirrt. Kann diese Bezeichnung eine zutreffende Selbstbeschreibung für die im Untertitel genannten „Menschen multiethnischer und multikultureller Herkunft“ sein? In einer Zeit, in der diese sich zunehmend mit von Deutschen ausgeübter rassistischer Gewalt konfrontiert sehen und sich aus diesen Gründen von Deutschen und Deutschland distanzieren? Die Antwort fällt dekonstruktivistisch aus und verrät damit die politisch- appellative Absicht des Buches: „Ethnische, nationale, kulturelle Identitäten“ seien „Konstruktionen, die von einem fiktiven Idealtypus genährt werden“. Es ist eine Frage gesellschaftlicher und politischer Macht, wer die Kriterien der Zugehörigkeit festlegt. Die Herausgeber verneinen ein Abstammungsrecht am Deutschsein und plädieren dafür, die Frage nach dem „Lebensmittelpunkt“ eines Menschen zum zentralen Aspekt der kulturellen Zugehörigkeit zu erheben. Die Artikel der beiden Herausgeber und der drei Autorinnen zeichnen sich durch eine anregungsvolle Heterogenität der Perspektiven aus. Die Themenpalette reicht von der Lebensgestaltung im bireligiösen Kontext über die psychoanalytische Aufbereitung von therapeutischen Kontakten mit Menschen multikultureller Biographie bis hin zur Identität von sogenannten Mischlingen. Konstitutive Elemente der Lebenssituation von „Anderen Deutschen“ werden beleuchtet, wie auch die Realität schwarzer Deutscher beschrieben.

Eine Zielrichtung des Buches zieht sich wie ein roter Faden durch alle Artikel, seien es nun Fallbeschreibungen, Forschungsergebnisse qualitativ angelegter Studien oder eher theoretische Überlegungen auf dem Hintergrund eigener Lebenserfahrungen als „Andere Deutsche“, zu denen drei der fünf AutorInnen zu zählen sind: das Aufbrechen kultureller Stereotype, das Aufdecken latent rassisticher oder eurozentristischer Denkweisen, das Plädoyer für die Anerkenntnis der Pluralität der Lebensformen in unserer postmodernen Gesellschaft.

Gerade diese Vielfalt in der Differenz der Lebensweisen stellt den Begriff der „Anderen Deutschen“ dann aber noch auf eine andere Art und Weise in Frage. Wird hier nicht semantisch eine Einheitlichkeit suggeriert, die das Buch in seinen Inhalten eben widerlegen will?

Eine auch von den Herausgebern aufgeworfene Frage, die offenbleibt, aber dadurch auch zum Weiterdenken anregt, so wie überhaupt das Buch die Leserin und den Leser zum Nachdenken über eigene kulturelle Wertvorstellungen und klischeeartige Bilder anderer Kulturen animiert. Stefan Bales

Paul Mecheril/Thomas Teo (Hrsg.): „Andere Deutsche – Zur Lebenssituation von Menschen multiethnischer und multikultureller Herkunft“, Dietz-Verlag, Berlin 1994, 173 S., 29,80 DM

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