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Kantige Menschen, gut ernährt

■ Nach einem schmeichelhaften 0:0 im spanischen Jerez muß selbst Bundestrainer Berti Vogts erkennen, daß mittlerweile andere besser Fußball spielen können

Berlin (taz) – Nicht immer und nicht zwangsläufig sieht der am meisten, der dem Objekt am nächsten ist. Manchmal schafft erst die Distanz jene Räume, aus deren möglicherweise vager Tiefe dennoch eine kompetente und präzise Analyse möglich wird. Häh? Hören wir, was die spanische Sporttageszeitung El Mundo Deportivo nach dem freundschaftlichen 0:0 zwischen den Fußballern Spaniens und Deutschlands über letztere herausgefunden zu haben glaubt: „Diese Mannschaft“, teilt das Blatt nach aufmerksamer Begutachtung mit, „kann nicht Deutschland gewesen sein.“ Und falls doch? „Dann war es die schlechteste Mannschaft seit dem Zweiten Weltkrieg.“ So so. Und was war mit dem Herberger-Recken 1955 bis 1957? Helmut Schöns Cordoba-Expedition? Derwalls Team voller Förster-Brüder?

Nun, die Nähe kann zu verschwommenem Blick führen einerseits, andererseits aber auch zu einer differenzierteren, wenn auch nur sehr punktuellen Analyse. So hat also der Bundestrainer Berti Vogts von einem „guten Anfang“ gesprochen, der gemacht worden sei, hat nicht vergessen, seine Neuen und Semi-Neuen Babbel („wie ein Routinier“), Todt („Sache gut gemacht“) und etwas weniger auch Freund zu loben – und „von der Einstellung her“ Positives erkannt. Hart ist man zu Werke gegangen, hat bieder, doch konzentriert gearbeitet und diese Arbeit im defensiven Bereich durch Thomas Helmer, einen veritablen Nachfolger des unvergessenen Willi Schulz, zufriedenstellend organisiert.

Nach vorne? Was ist vorne? Da ging wenig, abgesehen von einem Kirsten-Versuch (5.) und einem Dreierpack eine Viertelstunde vor Schluß, als unmittelbar nach der Einwechslung Baslers erst Todts Kopfball von der Linie gekratzt wurde, dann Möller vorbeischoß, Weber knapp vorbeiköpfte. Es gab „keine Räume“, wie Spielführer Jürgen Klinsmann zur Kenntnis nehmen mußte. Warum es keine gab? Weil die Spanier in den bekannten drinstanden und keiner da war, der neue zu schaffen in der Lage gewesen wäre. Häßler? Spielte drei Rote aus, wodurch er aus Strafraumnähe glücklich wieder an der Mittellinie angelangt war. Möller? Dilettierte als Tackler. Kirsten? Ist nur als letztes Glied einer Kombinationskette zu gebrauchen.

Achtung, ein weiser Satz: „Wir müssen lernen zu spielen“, hat Berti Vogts gesagt – präziser ist es kaum zu formulieren. Dazu allerdings braucht es offensichtlich einen, der die Kommandos gibt und die Bälle spielt. Was nicht notwendigerweise muß, doch praktischerweise in einer Person vereint sein darf. Aber es bräuchte schon auch: auf einigen Vasallenpositionen kompetentes Fachpersonal. In Andalusien hatte man aus den bekannten Gründen den einen oder anderen nicht dabei und spielte also ein Team aus (Mit-)Läufern. Hat man andere? „Wenn Matthäus, Sammer oder Kohler wieder mitwirken“, sagt Jürgen Klinsmann, „sollte es uns verstärkt möglich sein, das Spiel nach vorn zu verlagern.“ Allerdings ist die Liste des Kapitäns eine kurze, und streicht man davon aus gesundheitlichen und fachlichen Gründen zwei Namen, bleibt nur noch Sammer. Positiv: immerhin Sammer.

An den denkt, auf den hofft der Bundestrainer, dem nichts anderes bleibt, im bevorstehenden EM- Qualifikationsspiel am 29. März in Tbilissi. „Matthias Sammer wird Libero spielen“, das weiß er jetzt schon. Und den anderen ein Beispiel gebend mitteilen, was wie zu erledigen ist. Und Gegner Georgien (immerhin 5:0-Sieger über Wales), hofft der Bundestrainer, möge einfacher zu handhaben sein als Javier Clementes Spanier, die zwar weder ohne und auch nicht in den zwanzig Minuten mit dem enigmatischen Stürmer Salinas endgültiges Wissen um das Know- how der Toreproduktion nachweisen konnten, die aber, was Kombinationsfußball, Personalverlagerung sowie torvorbereitende Maßnahmen anbelangt, deutlich bevorteilt waren. Und die in dem Ex- Brasilianer Donato zudem einen teilinspirierten Lenker hatten.

„Spanien“, hat der bescheiden gewordene Vogts sehen müssen, „ist eine absolute Klassemannschaft.“ Und sein Kapitän hat eilig hinzugefügt, daß, wer in Belgien 4:1 gewonnen und „die Dänen weggefegt“ habe, zu den „Topnationen“ gehöre. Eine Annahme, die von der FIFA-Weltrangliste gestützt wird, die den sachlich-modernen spanischen Fußball auf Rang zwei führt. Und was ist mit Deutschland, dort immerhin noch auf Platz fünf notiert? Also, sagt Vogts: „Wir haben jetzt einen Kader von 20, 24 Spielern“, mehr noch: „alles junge Kerle“. Mit denen kann man arbeiten. Doch auch mehr? „Da“, sagt Vogts und zeigt auf die Spanier, „müssen wir hinkommen.“ So ändern sich die Ansprüche und wird mancher leise, für den es vor ein paar Monaten einzig die Alternativen „Weltmeister oder Vaterlandsverräter“ gab.

„Wenn man in der Nationalmannschaft spielt“, das hat der Dortmunder Steffen Freund erfahren müssen, nachdem er 90 Minuten ganz nah dran war, „ist man auch nur ein Mensch.“ Das gilt für ihn besonders und heute mehr als gestern. Denn jene, das teilt man klaren Blicks aus der Ferne mit, sei nicht mehr als „eine kantige Mannschaft, die nur auf die körperliche Macht ihrer Spieler setzt“. Das aber, befindet zu Recht El Pais, „ist keine Fußballqualität, sondern die Folge einer guten Ernährung“. Peter Unfried

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