Sanssouci: Vorschlag
■ Erspart den Kleinen und Kleinsten doch bitte den Karneval
Der Karneval ist für mich das verachtenswerteste Vorkommnis im Festkreis des Jahres und, jawohl, ich verabscheue ihn von ganzem Herzen. Im Jahre 1965 war ich ein zartes Kind von vier Jahren, arglos sowie voller Vertrauen, was Erwachsene und die Überraschungen des Lebens angeht. Ich konnte mich deswegen leider nicht gegen die kreativen Einfälle meiner liebenden Eltern wehren, als wieder einmal der jährliche Kindergartenfasching anstand. Was zieht das Mädel dieses Mal an? Cowboys und Indianer waren, wegen westlicher Western und der dennoch anzutreffenden Cowboy-und-Indianer-Schwemme auf den Kinderfaschings der „ersten sozialistischen Stadt“, ausdrücklich nicht erwünscht, und das ist kein mieser Scherz auf Kosten der Geschichte! Fasching also: Was zieht das Mädel bloß an? Nun hatte ich eine schneidernde Tante Traudel, welche die kreativen Einfälle meiner liebenden Eltern beglückt in Einzelstücke umsetzte. Ich hatte bereits als „Maiglöckchen“ (mit grüner Blätterkappe), als „Dornröschen“ (im Tüll-Tutu und mit Röschenreif in den damals blonden Locken) sowie als „Pierrot“ (mit plissiertem Nylonkragen) gelitten. Im Kinderfernsehen der DDR trat damals zu meinem großen Verhängnis eine Figur namens „Thadäus Punkt“ auf. Die Idee!, das Kind geht als „Pünktchen“!
Nie fühlte ich mich so gedemütigt wie in diesem Kostüm mit der albernen roten Schleife um den Hals und dem noch alberneren gepunkteten Ketzerhut mit roter Bommel auf dem Haupte. Ach, auch ein kleines Kind empfindet Weh und Qual, ganz so wie ein richtiges menschliches Wesen. Unglücklich drückte ich mich in den festlich geschmückten Kindergarten, und siehe da, (fast) alle anderen Mitkindergartenkinder waren als Cowboy oder Indianer verkleidet. Nur ich mußte den Deppen spielen und mich noch dazu vom Kindergartenfotografen fotografieren lassen, weil mein Kostüm „so originell“ war. So stand ich denn steif wie ein mausetotes Kalb in der Ecke und glotzte betreten in die Kamera. Seither hege ich einen unüberwindlichen Widerwillen gegen den Karneval im besonderen und „Originelles“ im allgemeinen. Der einzig erträgliche Fasching war die jährlich im Februar im Dorf meiner Großeltern gefeierte „Fastnacht“, weil dort eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit waltete. Erwachsene Männer in kindischen Kostümen und mit Pappnasen „zamperten“ von Hof zu Hof und baten um milde Gaben in Form von Naturalien und Geld. Die Frauen juchzten immer so schön, wenn die Zamperer an die Hoftür rummerten. Mein kleiner Cousin und ich liefen an der Hand unseres Opas, eines würdevollen Herrn in Lodenjoppe, mit und fraßen den Zampernden die milden Gaben weg, bevorzugt Gewürzgurken und Salamistullen. Am schönsten jedoch war: Wir Kinder trugen Zivil. Ätsch! Anke Westphal
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