■ Normalzeit: Monte Video Berlin
Zwischenbericht einer abgebrochenen Videoscene-Recherche. Es ging mir dabei um Video als die Fortsetzung von Urlaubs- dias mit anderer Technik: Da müssen die Ehefrauen noch einmal an die Hotelrezeption dackeln, weil der Mann das filmen will, oder sie müssen mit ihren Kindern noch einmal einen schönen Waldweg entlanggehen und dabei wie beim ersten Mal Entzücken heucheln und irgendwo hinzeigen. Der Mann spricht dann später dazu seinen Kommentar, der sich meist so anhört, wie es in Reiseprospekten geschrieben steht: „Die Aussicht ließ nichts zu wünschen übrig, und das Zimmer hatte allen Komfort, das Frühstück war reichhaltig usw.“
Im Offenen Kanal werden zweimal in der Woche Urlaubsvideos gezeigt. Die Palette reicht von „hoch künstlerisch bis tief banal“, meint einer der OK-Verantwortlichen, dem ansonsten eher die „Ausländer“ am Herzen liegen, die sich weniger gestalterische Gedanken machen und freier seien. Die Exilalbaner würden sehr viel Wert auf technische Perfektion legen, bei den moslemischen Nutzern sei der Inhalt das wichtigste. Sehr schön sei es auch, daß im Offenen Kanal zum Beispiel Serben und Kroaten und Bosnier alle „friedlich nebeneinander“ arbeiten würden.
Ein weiterer Abnehmer von Home-Videos ist die Redaktion von „Pleiten, Pech und Pannen“. Frau Pasetti erzählte mir dort, daß die Sichtung mitunter schon „ein Horror“ sei. 3.000 Videos müßten sie sich anschauen pro Sendung, nur 5 bis 10 Prozent davon würden sie verwenden.
Mit Abstand am häufigsten seien Kinder auf dem Topf, Kinder, die in der Nase bohren, und Tiere. Schadenfreude sei zwar schon oft dabei, aber, wenn es darum gehe, daß sich jemand verletzt, dann würden sie das Video nicht nehmen. Urlaubsgeschichten funktionieren dagegen relativ gut: Stürze vom Kamel etwa, Elefanten, die Touristen bespritzen und ähnliches. Wenn solche Sachen jedoch „offensichtlich gestellt“ seien, würden sie sie nicht aufkaufen.
Gerade wegen ihrer Kenntnis der Amateur-Videoscene ist Frau Pasetti eine schroffe Anhängerin der „Professionalität“. Dabei werden die Grenzen immer verschwommener. Zum einen zwangsläufig mit der Technikentwicklung und zum anderen, weil die Amateure, darunter zunehmend Journalisten, die das Fernsehen mit Features füttern wollen, immer besser werden. Neun Clubs gibt es in Berlin, die sich regelmäßig ihre unfertigen Video- Arbeiten zeigen und Gestaltung sowie Schnitte diskutieren. Ihr letzter Videoclip-Wettbewerb fand im Museum für Verkehr und Technik statt. Filmische Auseinandersetzungen mit dem „Foucaultschen Pendel“ wurden dort prämiert. Diese Amateure filmen aber auch Hochzeiten, Beerdigungen, Taufen, Familien- und Betriebsfeiern, um das Budget für ihr Hobby aufzubessern. Zu den Urlaubsvideos meint einer der Aktiven, Jürgen Wonde: „Ich nehme im Urlaub gar keine Kamera mit, und wenn, dann wird aber mit Drehbuch im Kopf gedreht.“
In Senftenberg wird solchen Kurzfilmen regelmäßig der „5-Minuten-Cup“ verliehen. Demnächst wird es in Berlin ein „Deutsches Amateurfilm-Festival“ geben, außerdem existiert neben der Berlinale schon ein „Videofilm-Festival“ sowie eine „Video-Schiene“ im Forum- Programm. Immer mehr Jugendliche greifen zur Kamera, „mit teilweise phantastischen Arbeiten“. Sie werden auch gefördert, in Berlin zum Beispiel von Medienpädagogen in Jugendeinrichtungen mit entsprechendem „Equipment“.
Immer mehr TV-Sender annoncieren in der Zeitschrift „Film und Video“, daß sie Amateur- material ankaufen. In der Budapester Straße logiert das Deutsche Video Institut e. V. (DVI), das zwischen Herstellern, Händlern und Endverbrauchern aufklärerisch vermittelt. Von den 28,2 Millionen Westhaushalten hatten 1992 58 Prozent einen Videorecorder und 15 Prozent eine Videokamera (Camcorder), von den 6,5 Millionen Osthaushalten besaßen 37 Prozent einen Recorder und 4 Prozent einen Camcorder. Bis Ende 1994 hatte der Osten gleichgezogen und wird seitdem übrigens in der DVI-Statistik auch nicht mehr getrennt aufgeführt.
In vielen ostdeutschen Betrieben, zum Beispiel in Bischofferode und in Eisenhüttenstadt, wurden extra Camcorder zum Filmen der Arbeitskämpfe angeschafft. Auch die Porno-Videoscene fühlt sich durch den Osten bereichert, berichtet ein Mitarbeiter von „Video Privat“, einem Versandhandel, will aber keine Details rausrücken. Nicht einmal, ob es dabei gewisse Überschneidungen mit Urlaubsvideos gibt. Helmut Höge
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