: Geißlers „politischer Trockenskikurs“
Beim Politischen Aschermittwoch der CSU poltert Theo Waigel gegen das schwarz-grüne Gespenst: Wer diese Koalition beschwöre, setze den Zusammenhalt der Union aufs Spiel ■ Aus Passau Thomas Pampuch
Die Stimmung beim Politischen Aschermittwoch der CSU ist gemütlich, fast familiär. Rund 7.000 Pilger hat es in diesem Jahr auf ihrer „politischen Wahlfahrt“ in die Nibelungenhalle in Passau getrieben. Immerhin blickt man auf eine lange bayerische Tradition zurück. Seit 1826 trafen sich die Bauern zum Hornvieh- und Roßmarkt in Vilshofen und politisierten dabei kräftig. Aus ganz Bayern und darüber hinaus sind fast 170 Jahre später die CSU-Fans busweise angereist. Manche, wie die „Freunde aus Peine“, sind schon zum 20. Mal da. Man hört keineswegs nur bayerische Töne. Die CSU gibt sich in Passau weltoffen – gesamtdeutsch, europäisch, international.
Fast pünktlich, um fünf nach elf, ertönt der Bayerische Defiliermarsch. Theo Waigel im Anzug und Edmund Stoiber im Janker ziehen ein: 100 Meter in sechseinhalb Minuten. Erwin Huber, der neuerdings als Minister der Staatskanzlei firmiert, eröffnet den Reigen: „Die politische Musik spielt hier in Passau. Wir sind die Sieger des Jahres 1994.“ Dann kommt Waigel fast zwei Stunden lang. Er redet so viel und zu so vielen Themen, daß der Tischnachbar bedenklich die Augenbrauen hebt: „Der last ja am Stoiber gar nix mehr übrig.“ Wie erwartet poltert Waigel derweil gegen die SPD: „Trio Infernale“.Gegen die Grünen: „Die wollen Deutschland in die Steinzeit zurückwerfen.“ Gegen Gysi: „Dieses Subjekt, das nichts in der Politik verloren hat.“ Und gegen die FDP: „Die redet nur klugscheißerisch daher und sagt nicht, wo sie sparen will.“ Aber auch gegen ein paar Intimfeinde teilt Waigel aus: WDR-Nowottny empfiehlt er, er solle „den Bednarz gleich mitnehmen, wenn er endlich geht“, Stefan Heym nennt er „einen Pharisäer und Heuchler in Dichtergewand“, und von Heiner Geißlers „politischem Trockenskikurs“ hält er gar nichts.
Vor allem auf die schwarz-grünen Gedankenspiele seines Unionskollegen hat es der CSU-Chef abgesehen. „Unverantwortliches Gerede“ sei das. Wer schwarz- grüne Bündnisse anstrebe, setze den Zusammenhalt der Union aufs Spiel. Die CSU werde die Grünen mit aller Kraft bekämpfen. Geißler und Konsorten sollten sich „keinen Illusionen hingeben“. Immerhin gehörten die Grünen im Bundestag „an den äußersten linken Rand“. Und dann skandiert der Bayer sein politisches Glaubensbekenntnis: „Wer heute über Schwarz-Grün spekuliert, trägt dazu bei, daß die CDU bei der nächsten Wahl unter 30 Prozent kommt.“ Natürlich findet der Mann auch noch ein paar deftige Worte für die Parteispitze dieses linken Rands: Sie bestehe aus „Gestalten im Narrengewand“. Ihr Fraktionschef Joschka Fischer sei ein „Politkasper“.
Auch die politisch stärkere Opposition bleibt nicht verschont. Der SPD wirft der Finanzminister in der Diskussion um den Solidaritätszuschlag Verlogenheit vor. SPD-Chef Rudolf Scharping sei im Superwahljahr 1994 als „Jäger aus Kurpfalz“ angetreten und inzwischen zum „Angsthasen“ geworden. Scharpings laufende Kurswechsel seien inzwischen „so bunt wie ein Fernsehtestbild, aber auch so langweilig“.
Geht's um die eigenen Genossen, ist hingegen Lobhudelei angesagt. Keiner auf dem breiten Podium kommt ohne ein überdickes Lob davon: Die lieben Erwins und Edmunds werden gebührend bedacht, und natürlich lobt Waigel auch Waigel. Der eigenen Finanzpolitik widmet er sich rund eine Stunde lang. So sehr lobt er sich und die CSU, daß es die 7.000 fast erschöpft. Doch Waigel wäre nicht Waigel, wenn er nicht wüßte, wie er den Saal immer wieder munter machen kann. Er funktioniert immer noch, der schwarz-populistische Pawlowsche Reflex. Wirklicher Jubel kommt immer dann auf, wenn Waigel auf die „verkommenen Subjekte“ schimpft: Die Terroristen, die Kommunisten, die ausländischen Straftäter, die autobahnblockierenden Kurden, die Drogenhändler, die Hafenstraßler und nicht zuletzt die Neidhammel und Nörgler. Das geht dem Saal runter wie das dünne Bier, da toben sie und lassen sich dann gnädig wieder ausführlich erklären, wie Theo Waigel und die CSU die deutsche Wirtschaft und das deutsche Vaterland gerettet haben. Und jeder glaubt ihm, als er zum Schluß sagt, daß er stolz sei, ein Deutscher und ein Bayer zu sein. Am stolzesten aber, das ahnt man, ist er doch, Theo Waigel zu sein.
Der Stoiber Edmund hat es wirklich nicht leicht hinterher. Aber er schlägt sich tapfer und fängt es ganz schlau an, indem er eingangs daran erinnert, „was wir Deutschen vor 50 Jahren für Pariasse“ (der Mann meinte wohl Paria) „in der Welt waren“. Wer so fürchterlich angefangen hat, der ist freilich dankbar, daß die CSU ihn da herausgebracht hat. Nicht von ungefähr wollen 80 Prozent aller Deutschen in Bayern leben, verkündet Stoiber. Bayern war, ist und bleibe das Musterland in Deutschland. Und richtig in Rage kommt er, als ihm gesteckt wird, daß Renate Schmidt im benachbarten Vilshofen gerade erklärt hat, sie wolle Bayern zu einem Land der modernen Technologie machen. „Ja, wo lebt denn jemand, der so etwas verzapft“, ruft er und läßt sich nun nicht mehr abhalten, markig die ganze Palette der Zukunftstechnologie aufzuzählen, die die CSU nach Bayern geholt hat. „Und für die wir weiter kämpfen!“ Kernfusion, Gentechnik, Biotechnologie, Dornier, Siemens, BMW – es fließt nur so von seinen Lippen.
Nein, „Pariasse“ sind wir Bayern wirklich nicht mehr. Und wenn's ums Selbstlob geht, sind wir sogar internationale Weltspitze.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen