: Kosmische Kuriere
Return of the Son of Kraut: Englands Medien, Jungle- und Techno-Musiker feiern „German Rock of the Sixties and Seventies“ als Revival ■ Von Christoph Wagner
Das Konzert bestand im Grunde aus einem einzigen langen Akkord – der allerdings ein beachtliches Echo fand. Hinter einem riesigen Leintuch, das fahnenhaft von der Bühnendecke herabhing, spielte eine knappe Stunde lang ein Violinist immer und immer wieder dasselbe Intervall, seine Bewegungen waren nur als dunkler Schattenriß erkennbar. Dazu das Dröhnen zweier Trommeln, die dem monotonen Rhythmus folgten, den die Baßgitarre mit Donnerschlägen aus der Tiefe unterlegte.
Der Auftritt hatte rituelle Züge. Nach 20 Jahren Abwesenheit war die Hamburger Rockgruppe Faust am 17. Februar nach England zurückgekehrt. Von ihrem Auftritt in Londons Queen Elisabeth Hall ging eine klare Botschaft aus: „Krautrock is back!“
Das Ereignis ist nur der vorläufige Höhepunkt einer längeren Entwicklung, die eng mit Tendenzen der britischen Disco- und Popszene zusammenhängt. Ob Jungle, Ambient oder Techno – die jungen Musiker und Discjockeys der neuen elektronischen Welle haben die „kosmischen Kuriere“ aus Germany wiederentdeckt. Sie alle haben dafür gesorgt, daß Namen wie Kraftwerk, Neu! und Tangerine Dream inzwischen jedem College-Studenten im Vereinigten Königreich wieder geläufig sind.
Für die junge Generation von Sound-Werkern bildet die Elektronik das Verbindungsstück. Vertreter der Ambient-Musik schaffen ihre sanften Tongewebe am heimischen Computer mit Hilfe von Synthesizern, Sampling-Maschinen und Sequenzern. Wer in dieser Richtung arbeitet, stößt zwangsläufig auf die Pioniere, die Anfang der 70er Jahre mit synthetischen Klangwellen ein Gegenmodell zum Hardrock von Deep Purple und Black Sabbath schufen.
Tom Green, der gerade unter dem Namen „Another Fine Day“ beim Birminghamer Beyond-Label eine Produktion veröffentlicht hat, ist ein Ambient-Musiker par excellence. In seiner Wohnung im Londoner Stadtteil Brixton stehen viele der originalen „Krautrock“- LPs feinsäuberlich im Regal, Schallplatten von Gruppen wie Popol Vuh, Ash Ra Tempel und Cluster. Sie bilden die Grundlage für die Musik-Collagen, die von DJs wie Tom in den Clubs oder im Studio mit mehreren Plattenspielern zusammengemixt werden.
Vielleicht ist das der Grund dafür, daß mittlerweile Schallplatten der alten Deutschrock-Labels Ohr, Pilz und Brain als gesuchte Sammlerstücke gelten und im Spezialmagazin Record-Collector zu einem Mehrfachen ihres ehemaligen Neupreises gehandelt werden. Kraftwerk ist besonders gefragt. Für ein Exemplar der in rotes Vinyl gepreßten „Mensch Maschine“-Platte muß der Fan um die 80 Pfund (etwa 200 Mark) hinlegen. Aber auch Alben weniger bekannter Musiker finden ihre Käufer.
„Wall of Sound“, der Spezialladen für gebrauchtes Vinyl im nordenglischen Halifax, ist eines der Plattengeschäfte, in dem deutsche Rockmusik mit Stolz geführt wird. Der Eigentümer ist regelrecht besessen von „Krautrock“ – und es handelt sich dabei nicht um einen nostalgischen Hippie, sondern einen freundlichen Geschäftsmann mit Pferdeschwanz und akkuratem Laden. Der Mann verfügt über ein enzyklopädisches Wissen und wirft mit obskuren Bandnamen und Plattentiteln aus seiner riesigen Sammlung nur so um sich. Dem „German Rock of the Sixties and Seventies“ hat er ein eigenes Fach eingerichtet, in dem man sich durch Stapel ausgefallener LPs wühlt – von Gruppen wie Grobschnitt, Yatha Sidhra und Triumvirat, deren Namen selbst in Deutschland nur noch Eingeweihten etwas sagen.
Im Juni letzten Jahres hatte der Melody Maker das Thema erstmals aufgegriffen. In einem großaufgemachten Artikel versuchte das Popmagazin die Vielfalt neuer experimenteller Popmusik in England unter dem Stichwort „Post- Rock“ zusammenzufassen und in eine Tradition der Rockdissidenz einzureihen – mit Can, Faust, Velvet Underground und Brian Eno als Kronzeugen und „Post-Rock- Höhepunkten der Vergangenheit“.
Im Falle von Can konnte das nicht einmal überraschen. Die Kölner Gruppe besitzt im Vereinigten Königreich Kultstatus – „Canibalism“ ist eine verbreitete Neigung unter Musikern. Ihr Name fällt fast in jedem Interview, in dem Vertreter der neuen Elektronik-Szene nach Einflüssen gefragt werden (weshalb es wenig erstaunlich ist, daß das Londoner Mute-Label den gesamten Backkatalog der Gruppe – stolze 23 Einspielungen – auf Compact Disc wiederveröffentlicht hat). Doch damit nicht genug. The Fall haben eine Hommage an die Truppe und ihren Sänger komponiert – Titel: „I am Damo Suzuki“ –, und wenn sich in den sechziger Jahren die Rolling Stones nach einem Titel ihres Bluesidols Muddy Waters benannten, so borgte sich jetzt die englische Gruppe Moonshake ihren Namen von einem Can-Song.
Es waren aber nie ausschließlich ästhetische Motive, aus denen sich die Faszination der Briten für „Krautrock“ speiste. Die Gründe reichen tiefer, sind ein Nachhall des eigentümlich ambivalenten Verhältnisses der Engländer zu den „Krauts“ – einer Spezies, auf die man sich im Vereinigten Königreich keinen Reim machen kann. „The German Character“ ist den Engländern ein Rätsel und nicht ganz geheuer. Hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Verachtung, ist man einerseits voll des Lobes für die Leistungen der Deutschen als „Kulturnation“ (von Händel über Wagner bis Stockhausen reicht die Hochachtung). Unter der Oberfläche allerdings vermutet man – aus verständlichen historischen Gründen – weiterhin die dunklen Instinkte der Barbarei. Nicht wenige Briten halten die Deutschen für Schöngeister, in deren Genen das Böse schlummert. Aus diesem Blickwinkel erscheint das Interesse an „teutonischer“ Rockmusik als ein merkwürdiges Gemisch aus künstlerisch-musikalischer Wertschätzung, ethnographischer Neugierde und der Faszination am „Bösen“.
Inzwischen ist es 25 Jahre her, daß die „Krautrock“-Welle erstmals England erreichte und Gruppen wie Amon Düül II auf die Titelseiten des Melody Maker brachte. Davor hatte niemand im Vereinigten Königreich von deutscher Rockmusik auch nur gehört: Germany galt als popmusikalische Wüste, und das nicht ganz zu Unrecht – kopierte doch das Gros der Beatbands zwischen Flensburg und Friedrichshafen nur englische und amerikanische Vorbilder.
Das begann sich Ende der sechziger Jahre zu ändern, als im Zuge der Studentenrevolte erstmals andere Töne zu hören waren – und in England alsbald auf Interesse stießen. Die erste LP von Amon Düül II – sie hieß „Phallus Dei“ und erschien 1969 – wurde von der britischen Musikpresse durchweg positiv aufgenommen. „Amon Düül II ist die erste deutsche Gruppe, die als eigenständiger Beitrag zur internationalen Popkultur angesehen werden kann“, urteilte der Melody Maker. Dieser Meinung schloß sich Stardiscjockey John Peel an, der zum wichtigsten Promoter des „Krautrock“ in Großbritannien wurde. In seinen Radiosendungen spielte er die „Teutonic Sounds“ rauf und runter – je „weirder“, desto besser. Dadurch gelang auch anderen Formationen der Sprung auf die Insel. Im April 1972 brach Can zu ihrer ersten England-Tournee auf – was allseits Begeisterung hervorrief. „They're almost certainly the best band in Europe“, schwärmte der Melody Maker verzückt.
Im Gegensatz dazu war die Karriere von Tangerine Dream und Faust eng mit der Erfolgsstory der Firma Virgin verbunden. Die „Faust Tapes“ bildeten den Startschuß für das Label, das die Langspielplatte als Promotion-Gag zum Preis einer Single anbot – was so viele Leute zum Kauf animierte, daß Faust als erste deutsche Popgruppe in die englischen LP- Charts einzog.
Die Verbindungen der „Krautrock“-Musiker nach England sind seither nicht abgerissen. Vor allem Mitglieder von Can hielten Kontakt. Eine Zeitlang lieh sich die Band zwei Rhythmusleute von Traffic aus. Dann nahm Can-Mann Holger Czukay mit David Sylvian (Ex-Japan) und Jah Wobble (Ex- PiL) Platten auf, und Wobble war es auch, der Can-Drummer Jackie Liebezeit ab und an zu Aufnahmesessions einfliegen ließ. Die Musiker von Cluster fanden in Ambient-Guru Brian Eno einen Gesinnungsgenossen, der die futuristisch-romantischen Töne des Elektronik-Duos Mitte der siebziger Jahre als „die wichtigste Rockmusik“ lobte, „die heute gemacht wird“. Zwei Langspielplatten resultierten aus dieser Zusammenarbeit, die jetzt wieder auf CD bei Sky Records erhältlich sind.
Am „Krautrock“-Comeback in England hat auch ein Musiker besonderen Anteil, in dem man nicht unbedingt einen Fan der „Great Kosmischen Musik“ vermutet hätte. Vor zwei Jahren war Rockstar Julian Cope erstmals als kenntnisreicher Verehrer teutonischer Klänge aufgefallen. Im New Musical Express hatte er zur Wiederveröffentlichung der Schallplatte „Faust IV“ eine Hymne auf die Gruppe verfaßt. Letztes Jahr hat sich Cope öffentlich zu seiner „Krautrock“-Obsession bekannt. Im Musikmagazin The Wire publizierte er eine mehrseitige, akribisch recherchierte und mit Detailkenntnissen gespickte „History of Krautrock“. Eine erweiterte Fassung soll demnächst als Buch erscheinen. Vielleicht gelingt es ihm darin, hinter das Geheimnis der „Krautrock“-Faszination zu kommen, ein Phänomen, das Robert Hampson, Chef der Londoner „Post-Rock“-Formation Main, mit der Frage auf den Punkt bringt: „Was hat es mit den Deutschen auf sich, daß sie eine derartige Musik machen können, die so anders ist als alles andere?“
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