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Strafverfolgung ist ein rechtsstaatlicher Luxus

■ Mit einer kompromißlosen Ahndung des Verbrechens ist nicht zu rechnen, solange staatliche Ordnungshüter in kriminelle Machenschaften verstrickt sind

Morde lassen sich in Rußland preisgünstig ordern. Noch übersteigt das Angebot bereitwilliger Killer die Nachfrage nach Auftragsarbeiten. Den Gegner nicht nur auszuschalten, sondern gleich zu liquidieren, zählt zu den effektivsten Methoden, solange mit einer kompromißlosen Ahndung des Verbrechens nicht zu rechnen ist. Zu sehr sind die staatlichen Ordnungshüter mit der kriminellen Welt und politischen Interessengruppen verstrickt, als daß sie sich diesen rechtsstaatlichen Luxus leisten wollten. Der Direktor der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt Ostankino, Wladislaw Listjew, ist vorerst das letzte prominente Opfer in einer Mordserie, die schon vor anderthalb Jahren angelaufen ist.

Der feige Anschlag auf den smarten Publikumsliebling Listjew rüttelt die Öffentlichkeit für einen Augenblick wach, wie im Oktober letzten Jahres, als der junge Journalist Dimitrij Cholodow von einer Kofferbombe zerfetzt wurde und Tausende seinem Sarg folgten. Er recherchierte in Sachen Armeekorruption.

Die Spuren führten bis in die obersten Etagen der Macht. Angeblich soll das russische Föderale Sicherheitskomitee, die Nachfolgeorganisation des berüchtigten KGB, den Täter ermittelt haben. Nur dingfest läßt er sich nicht machen, da er zur Zeit in einem der sowjetischen Nachfolgestaaten weilt. Weder die Sicherheitsorgane noch die politische Macht haben offenbar ein Interesse an der Aufklärung des Falles.

Die täglichen Morde an Geschäftsleuten, seien sie nun Mafiosi oder weiße Westen, erschüttern keinen mehr. Aus Angst oder Eigeninteresse mischt sich die Miliz nicht ein. Die Welt des Business, soweit sie finanzkräftig ist, leistet sich daher ihre eigenen Sicherheitsdienste. Nach Aussagen eines renommierten Bankiers schränkt das die potentielle Mordquote ein. Was jene Kreise in besonders krassen Fällen der Übertretung des Geschäftskodexes jedoch nicht davon abhält, die schwarzen Schafe in Eigenregie auszumerzen. Jener Bankier der Alphabank zog eine Parallele zur Prohibition der zwanziger Jahre in den USA. Die Entwicklung des Wirtschaftssystems in Rußland werde im Laufe der Zeit von alleine für Korrekturen in Richtung zivilisierte Konfliktregulierung sorgen, meinte er.

Der erneute Aufschrei in der Öffentlichkeit und Präsident Jelzins Ankündigung, man werde den Kampf gegen das organisierte Verbrechen verschärfen, haben lediglich propagandistischen Charakter. Ähnlich wie im Falle Cholodow richtete er eine Sonderkommission unter Leitung Innenminister Viktor Jerins ein. Das Ergebnis war gleich Null. Die Aufdeckung des Verbrechens hätte womöglich die ohnehin angeschlagene Macht kompromittiert.

Versprechen, die Miliz mit weiteren Vollmachten auszustatten, können wenig bewirken. Bereits im Sommer 1994 verfügte der Präsident per Ukas Kompetenzerweiterungen der Sicherheitskräfte. In der Folge greift die Miliz „direkt“ durch; sie macht schon jetzt, was sie will, ohne sich um rechtsstaatliche Auflagen zu scheren. Jedes weitere Zugeständnis an die Miliz forciert eher den Weg in einen autoritären Polizeistaat und provoziert erneut Angst des Bürgers vor der Polizei. Nur eine Reform der Ordnungskräfte und personelle Erneuerung könnten die Miliz effektiver machen.

Doch da stößt man auf die Interessenlage der alteingesessenen „Kader“. Sie profitieren von der Gesetzlosigkeit. In Rußland wütet ein Verteilungskampf, der weniger mit politischen Interessen verknüpft ist, obwohl es sich vordergründig manchmal so darstellt. Darin liegt eine Parallele zum Fall Listjew. Auch hier geht es um Geld. Der Verwaltungsratsvorsitzende Ostankinos, Alexander Jakowlew, meinte unverblümt: „Wir standen jemandem im Wege. Das heißt, irgendwelche Geschäftemacher steckten sich den Rest“, gemeint sind die Werbeeinnahmen, „in die eigenen Tasche“. Klaus-Helge Donath

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