: „Einen Teil der Welt kann man nicht verstehen“
■ Norbert Walter (50), Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Geschäftsführer der Deutschen Bank Research, rät dazu, jetzt Dollars zu kaufen und dann langfristig zu denken
taz: Herr Walter, soll der taz- Leser jetzt Dollars kaufen?
Norbert Walter: Wer langfristig eine gute Investition machen will, sollte in der Tat darüber nachdenken und am besten schnell handeln. Die Unterschreitung des Gleichgewichts zur Mark ist so gewaltig und die Dynamik der US- Wirtschaft so eindeutig positiv, daß mir die Interpretation der Finanzmärkte mit den realen und geostrategischen Gegebenheiten nicht übereinzustimmen scheint. Das Blatt wird sich also wieder wenden.
Was aber, wenn die Märkte recht behalten, und der Clinton- Boom in Wirklichkeit mehr auf Multimedia-Hysterie als auf wirtschaftlichen „fundamentals“ beruht?
Ich bin anderer Überzeugung. Die amerikanische Wirtschaft hat völlig unabhängig von der Politik ihr Vietnam-Syndrom und die Inflationisierungspolitik der späten siebziger und achtziger Jahre überwunden, sie hat dabei die nationale Perspektive abgelegt und ist heute durch und durch international orientiert. Die amerikanische Wirtschaft hält darüber hinaus in wichtigen Wachstumsmärkten – und zwar im Sinne der Produkte wie der Weltregionen – bereits jetzt wieder einen Spitzenplatz.
Gilt das etwa auch für die Autoindustrie?
Nein, die würde ich nicht zuerst nennen, sondern all das, was die neuen Informationstechnologien zusammenfassen. Dort sind die Amerikaner so weit vorne, daß Europäer und Japaner auf Jahre keine Chance haben, den USA diesen Platz streitig zu machen. Das gilt übrigens genauso für die Gentechnologie.
Diese Zukunftsvision für Amerika deckt sich mit Ihrer liberalen Kritik an der angeblichen Überregulierung der deutschen und der japanischen Volkswirtschaft. Wieso aber sind dann in den vergangenen zwanzig Jahren die überregulierten Währungen Mark und Yen im Vergleich zum Dollar ständig gestiegen?
Die Deutschen haben sich im geschützten europäischen Markt die glückliche Position des Einäugigen unter Blinden bewahrt. Aufgrund der mittel- und osteuropäischen Herausforderung sehe ich allerdings keine Zukunft für dieses westeuropäische Modell frankophonen Zuschnitts. Die Deutschen werden also eines Tages nicht mehr ihren VW in Italien unter dem gleichen Schutz wie heute verkaufen können. Die Folge ist dann nicht unbedingt eine schwache Mark. Das ist Sache der Bundesbank. Aber es werden sich viele größere Kosten für eine starke Mark ergeben: eine noch höhere Arbeitslosigkeit und noch weniger ausländische Direktinvestitionen in Deutschland.
Wie aber erklären Sie mit der Stärke der US-Wirtschaft, daß Japan noch 1994 einen Handelsüberschuß mit den USA in der Höhe von 60 Milliarden Dollar erwirtschaftete?
Auch Japan hat lange Zeit über einen großen geschützten Binnenmarkt verfügt. Die Yen-Stärke der letzten Jahre war doch eher Konsequenz einer falschen amerikanischen Finanz- und Handelspolitik (Stichwort: Japan-Bashing) als genuines Verdienst der Japaner. Ich weiß nicht, wie der Yen ausschaut, wenn die japanischen Aktien- und Landpreise eines Tages ihrer dringend erforderlichen Korrektur nach unten unterliegen. Da liegt schließlich die echte Strukturschwäche des Yens.
Wenn also nach Ihrer Interpretation Mark und Yen als Zugpferde ausfallen – betreiben dann die Amerikaner selbst die Schwächung des Dollars, um ihre Exporte billiger zu machen?
Das könnte man durchaus so formulieren. Trotzdem würde ich den Amerikanern kein Export- Dumping vorwerfen, weil die Washingtoner Politiker gar nicht soweit denken. Die kümmern sich um Whitewater oder Gingrich, aber nicht um die Exportstrategien irgendeines Unternehmens. Die Hypothese einer gezielten Währungspolitik für den Export ist in Washington einfach unvernünftig. Es geht dabei höchstens um Eintagsfliegen wie den Verkauf von US-Flugzeugen nach Saudi-Arabien.
Herr Walter, Sie sprechen stets vom mündigen Bürger in der freien Marktwirtschaft. Wie soll der sich im Währungskarussell verhalten: aufspringen oder seinen fundamentalistischen Analysen folgen und abwarten?
Das muß wirklich jeder mit seiner inneren Verfassung ausmachen. Langfristige Investoren sollten bei der fundamentalen Betrachtungsweise bleiben. Ein Firmenchef darf sich nicht solchen Wechselkursrisiken aussetzen, sonst kann er trotz bester unternehmerischer Qualitäten binnen Stunden alles verspielt haben. Leute aber, die Rennpferde sind und anderer Leute Geld mit verwalten, müssen sich auch entsprechend den großen Spekulationsbewegungen verhalten und sie wahrnehmen.
Aber ist nicht der mündige Bürger, der diese Marktentwicklungen noch durchschaut, eine Illusion von Marktideologen?
Der mündige Bürger muß einräumen, daß es über längere Zeit Marktbewegungen gibt, die mit den erlernten Strukturmodellen nichts gemein haben. Jede empirische Wirtschaftsforschung zeigt, daß es keine sicheren Prognosen für langfristige Zinsentwicklungen oder Wechselkurse gibt. Einen Teil der Welt kann man also nicht erklären. Das enthebt den mündigen Bürger freilich nicht der Notwendigkeit, weiter über die Entwicklung der Grunddaten nachzudenken. In diesem Sinne muß dann meine Hypothese, daß Amerika auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts die moderneren Technologien entwickeln wird, im öffentlichen Diskurs überprüft werden.
Aber niemand darf behaupten, die Spekulanten aus der unerklärlichen Welt führten den öffentlichen Diskurs ad adsurdum, und sich über den Markt beklagen?
Natürlich wird man in diesen Wirren wieder nach mehr Ordnung rufen. Und natürlich bekommen wir jetzt wieder mehr Marktregulierung. Doch wird es nicht gelingen, die modernen Instrumente der Weltfinanzmärkte zu zerstören – genauso wie Scheck und Chipkarte nicht mehr aufzuhalten sind. Interview: Georg Blume
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