Es fehlen selbst die Worte

Nach bemerkenswert-chancenlosem 0:3 gegen Gladbach sucht Dynamo-Trainer Minge Verdrängung und Hilfe im Mythos „harte Arbeit“  ■ Aus Dresden Peter Unfried

Ein paar Schritte vom Rudolf- Harbig-Stadion, zwischen Umkleidebaracke und Wurstbude, stand ein Mann, der nicht besonders gut aussah. Männer und Kinder in Schwarz-Gelb standen um ihn herum, probierten zaghaft ein paar freundliche Worte. Zu antworten gab es für Ralf Minge nichts. War jemand gestorben? Noch nicht. Der Exitus, dies läßt die leicht verzweifelte Melancholie ahnen, steht unmittelbar bevor. Und alle Beteiligten wissen Bescheid. Und wissen nichts. „Es fällt mir schwer“, das hatte Minge (34) zuvor, unter dem Zwang, sprechen zu müssen, herausgepreßt, „nach einer solchen Niederlage die richtigen Worte zu finden.“ Zum einen: Der Mann ist, seit er vor vielen Jahren aus Gröditz aufgebrochen ist, Dresdner. Zum anderen: Was soll er erzählen? Was darf er? „Es gibt in vielen Bereichen Defizite“, sagt er. Wahr. Und im Bereich „Sportliches“ gnädig untertrieben.

Selten hat man eine Bundesliga- Mannschaft zu Hause chancenloser erleben dürfen. Wie Gladbachs Trainer Krauss von einem „erwartet schweren Gegner“ zu sprechen, ist da nur noch zynisch. Stefan Effenberg hat gewohnt unverblümt die Wahrheit gesagt: „So leicht wie hier war es noch nie.“ Borussia, leicht müde vom Pokalmittwoch, verzichtete, weil es sich nicht ergab, den Gegner auch für den nicht im Stadion weilenden Rest der Republik bloßzustellen.

Es war aber auch ein interessanter Vergleich. Hier die gewachsene Borussia, bemerkenswert organisiert, mit Aufgabenbereichen und Mannschaftsteilen, die präzise ineinanderarbeiten, zudem mit individuellen Vorzügen, die in den entscheidenden Situationen in ihrer Addition den Unterschied ausmachen. Und da ist also Dynamo, das ein bisserl den Eckball (von rechts) trainiert hat und mittels halbsteilem Diagonalpaß den fleissigen Ratke rechts rennen und dann blind flanken läßt. Ansonsten: Schlägt man den Ball vor und schreit „Ekström!“ Auch das allerdings, sagt Minge, „wollten wir nicht“. Sondern, immerhin, „schon eine Station noch mitnehmen“.

Die knallharte Analyse: Jene gar nicht spaßige Ansammlung von Kickern, die sich Dynamo Dresden heißt, bestehend zur einen Hälfte aus jenen, die anderswo bisher keiner wollte, und zur anderen aus denen, die anderswo keiner mehr wollte, kann schlicht nicht besser. „Grundlegende Sachen“, das hat mit Minge einer gesagt, der zu Europapokalzeiten Siege herauszuköpfen pflegte, „sollte man voraussetzen können.“ Weil man das keineswegs kann, eine endgültige Analyse aber kontraproduktiv wäre, übt man sich nun mehr denn je in situationsüblicher Verdrängungsarbeit und sucht Ausweg und Hoffnung in der „Es-fehlt-an-Einsatz“-Legende.

Zwar will der Cheftrainer „nicht in der Öffentlichkeit“ irgendeinem Angestellten nachsagen, daß er „nicht kämpft und nicht läuft“, andererseits, findet er, müsse man „von Fall zu Fall differenzieren.“ Hah, da steigen die mitleidenden Dresdner Medien und (in der Folge) Dynamo-Anhänger gerne ein. Nach dem DFB, dem Spiegel und dem Universum nun also auch noch die Goldgräberwessis im eigenen Team, die zum schnellen Abzocken gekommen sind! Nicht ganz von selbst. Der Präsident Otto, Dresdner aus leidenschaftlicher Kalkulation, hat sie sich vom Spezl Willi Konrad rankarren lassen, weil der ja auch leben muß.

Was dem „Technischen Direktor“ alles so vorschwebt? „Mir schwebt vor“, hat er mit unerschütterlichem Pokerface gesagt, „daß Herr Minge doch noch das Wunder vollbringt und es schafft.“ Freund Otto hat sich derweil gewohnt geschmackssicher auf dem Cover des Dynamo Journals von einer Kanone bedroht abbilden lassen, die jüngsten medialen Erkenntnisse zu seiner Person („teilweise erstunken und erlogen“) nicht vollständig bebeifallt und statt dessen pathetisch versucht, seine Verschwörungstheorie zum x-ten Male zu variieren.

Ein Wunder jedenfalls wird es nicht brauchen, bloß drei Vereine, die schlechter sind. Doch allein die in völliger Verkennung der über Dresden gekommenen Gesellschaftsform permanent beschworene „harte Arbeit“ wird es sicherlich nicht tun. Was mehr? „Ein probates Mittel zu nennen“, soviel weiß Minge, „ist illusorisch.“ Kollege Krauss hat noch gnädig angemerkt, daß „im Fußball alles möglich ist“. Wirklich alles?

Es war noch nicht sechs, der Präsident Otto hatte sich längst dünngemacht, als eine schwere Limousine am Wurststand vorbei aus dem Stadion flüchtete: Der Stürmer-Import Jörn Andersen verließ nach dreißig Minuten Kurzeinsatz und anschließender Brause zügig seinen temporären Arbeitsplatz. Während die Getreuen draußen traurig mit den Fähnchen hinterherwackelten, blickte Ralf Minge kurz auf und ging dann schweren Schritts in seine Baracke.

Dresden: Tschertschessow - Pilz - Schößler, Beuchel - Sassen, Lesiak, Rath, Spies (60. Andersen), Ratke (67. Waas) - Ekström, Fuchs

Mönchengladbach: Kamps - Kastenmaier, Klinkert, Andersson, Neun (69. Hirsch) - Nielsen, Effenberg, Hochstätter, Wynhoff - Dahlin (56. Max), Herrlich

Torfolge: 0:1 Neun (16.), 0:2 Effenberg (52.), 0:3 Wynhoff (89.); Zuschauer: 19.100