: So viele Stile wie Nietzsche
■ Alles Geometrie, Abfall und Apokalypse: Die Hamburger Deichtorhallen mit einer umfänglichen Retrospektive des Minimal-art-Künstlers Robert Morris
Robert Morris sei der wahrscheinlich bedeutendste plastische Künstler der Gegenwart, erklärt Thomas Krens, Direktor des Guggenheim Museum in New York, nicht ganz ohne Eigennutz. Denn er und die Kuratorin Rosalind Krauss haben insgesamt über siebzehn (!) Jahre an dieser ersten großen Morris- Werkschau seit zwei Dekaden gearbeitet. Mit ihrem von Descartes abgeleiteten Titel „The Mind/ Body Problem“ wird die Retrospektive nach New York jetzt erstmals in Europa in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt. Mit über 160 Arbeiten aus 30 Jahren ist sie mehr als viele Ausstellungen zuvor imstande, selbst als reine One- Man-Show den übermächtigen Kunstraum in Hamburg auszufüllen. Zwei Wochen lang hat der 64jährige Minimal-art-Künstler, der sich ebenso mit Performances, barockem Endzeit-Pop und Philosophie auseinandersetzt, mit aufgebaut und arrangiert, viele der Raumeingriffe aus Sperrholz sind nach oft mehr als zwanzig Jahren in neu angepaßtem Maßstab wiedererstanden. Sichtbar wird ein Gesamtwerk, das sich in seiner Vielschichtigkeit auf allen Erfahrungsfeldern bewegt. Dabei kommt zwischen spröden Proportionskörpern, farbenprächtigen Abfallhaufen und komplizierten Spiegelkabinetten ein unterschwellig didaktischer Geist zum Vorschein: Drei verschieden lange Lineale, die alle vorgeben, 36 Inches zu messen; oder „Mnemonic Device“ mit einer Reihe Knoten, „um sich an frühere Knoten zu erinnern“. Bereits 1961 erweckte Robert Morris einen Holzwürfel durch Erinnerung zum Leben, indem er ihm unsichtbar im Inneren ein Tonband mit der Dokumentation seiner Herstellung einbaute – „Box with the Sound of its own Making“. Doch obwohl sein erklärtes Vorbild Marcel Duchamp für die meisten seiner Denkaufgaben mit einem kleinen Koffer auskam, suchte Robert Morris für seine visuellen Aporien und unendlichen Bedeutungsregresse lieber die amerikanische Variante: große, oft mehr als raumgreifende Gesten.
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taz: Es ist kaum zu glauben, daß hinter einem so weitgreifenden Werk tatsächlich nur ein realer Robert Morris existiert. Die Kritik wirft Ihnen immer wieder die extreme Verschiedenheit Ihrer Kunstformen vor.
Robert Morris: Die unterschiedlichen Beschaffenheiten haben mit den verschiedenen Themen zu tun, nicht mit Stil. Und wer bestimmt überhaupt, was der Standard des Stils sei? Ich hoffe, ich habe so viele Stile wie Nietzsche. Und ich habe dafür bezahlt. Viele meiner Kollegen haben sich einen Stil ausgesucht, ihn über dreißig Jahre wiederholt und eine hohe ökonomische Belohnung erzielt. So ist Kunst wie Industrie. Mein Zugang ist anders, mehr eine Art Befragung. Ich schätze die Konfrontation von Dingen, um zu sehen, was passieren wird.
Als Sie nach den Hintergründen des Titels „The Mind/Body Problem“ befragt wurden, gaben sie die Antwort sogleich an die Kuratorin Rosalind Krauss ab. Dabei begründet sie Ihre Arbeit doch sehr theoretisch ...
Es ist einfach ihr Titel für diese Schau. Für mich ist es ein interessanter Titel, aber ich hätte nie an ihn gedacht, obwohl ich an dieser Problematik durchaus interessiert bin. Einige Philosophen, die mich interessieren, haben einen Weg gefunden, das Verhältnis zwischen Geist oder Intention und der Dingwelt zu klären. Es ist keine Aporie mehr, keine Unmöglichkeit, kein mystisches Geheimnis mehr, was es für Descartes noch war.
Vieles hier ist eine Rekonstruktion von früheren Arbeiten. War es immer schon vorgesehen, die Objekte jeweils in anderen Räumen neu zu bauen?
Ich denke, Sie müssen die Frage umformulieren und sich nicht so sehr auf das Objekt konzentrieren. Sie müssen beachten, daß der Raum gleichwertig zum Objekt ist. Mich interessiert die Relation. Ich arbeite in einer Art Zwischenraum, zwischen dem Architekturraum und dem Objekt, und ich will diese Dinge gegeneinander und miteinander arbeiten sehen. Jedes soll seinen angemessenen Platz haben. Also verlangt jeder Ort eine Anpassung. Das Objekt ist nur eines der Elemente, es ist nicht das Endprodukt. Und der Körper vermittelt die Relationen von Raum und Objekt. Man soll das Objekt nicht so wichtig machen. Wie wichtig ist ein Spiegel, ein Balken, ein Stück Sperrholz? Diese Sperrholzkörper existieren nicht als Originale, sie waren immer Reproduktionen, ich habe sie hier und da gemacht. Es geht nicht um ein fetischistisches, einzigartiges Objekt.
Minimal-art trug immer auch die Züge eines protestantischen Ethos, Ihre „Feuersturm“-Arbeiten haben eher eine katastophische, barock-katholische Ausstrahlung. Können Sie mit solchen Kriterien etwas anfangen?
Ich bin nicht religiös. Ich bin natürlich mit dem Erbe einer Kultur aufgewachsen, die puritanisch war. Ich weiß nicht, ob mich das beeinflußt hat, vielleicht muß man das annehmen. Auch sehe ich die „Firestorm“-Arbeiten nicht unbedingt als barock, obwohl ich zugebe, sie haben etwas davon. Im Zweiten Weltkrieg war ich ein kleines Kind. Und die Bilder jener Zeit haben mich ungeheuer beeindruckt, sie füllten seit 1939 die Zeitungen und Magazine, Fernsehen gab es noch nicht. Meine Mutter hat meine Notizbücher von damals aufgehoben, und die waren voll mit Zeichnungen vom Krieg. Und so ist die „Firestorm“-Serie ein Weg einer Wiederaufarbeitung dieser Bilder, die mich als Kind überwältigt haben.
Im Rückblick hat Minimal-art als Aufwertung der reinen Materialwahrnehmung auch einen glatten, geradezu technoiden Aspekt.
O nein. Die großen Sperrholzobjekte machte ich zuerst alle selbst. Daß es ein Mann mit einfachen Werkzeugen machen kann, bestimmt ihre Struktur. Maßstab ist der Mensch, und was er im Raum bewegen kann. Es ist die Körperrelation, hat nichts mit Technologie zu tun.
Wie weit soll sich ein Objekt mitteilen, wie weit soll der Benutzer es als Instrument nutzen? Wie wichtig ist Ihnen die Vermittlung?
Was man über die Reaktion einer anderen Person vorraussagen kann hat seine Grenzen. Bei den Spiegelstücken und den Formen, die den Körper in Relation setzen, geht es um eine Art phänomenologisches Engagement, das man nach eigenen Erfahrungen einschätzen kann. Aber die „Karteikarten“ und die Dinge, die ihre eigene Geschichte erzählen – ich weiß nicht, was die Leute davon halten. Es ist eine andere Ebene der Reaktion. Es gibt Regeln der Wahrnehmung, die klar sind: Menschen haben eine bestimmte Augenhöhe, ihr Körper tritt in Beziehung zu dem spiralig sich verengenden „Passageway“. Aber da ist noch etwas, das ist psychologisch. Das ist sehr schwer zu steuern, da unterschiedliche Menschen unterschiedlich reagieren.
Verweisen Sie den Kunstverbraucher nur auf sich, verweisen Sie gar nicht auf die eigene Geschichte?
Sie wissen, daß Duchamp sagte, der Künstler ist nur die Hälfte der Kunst. Er macht die Arbeit, die Leute sagen ihm, was es ist.
Das sagt Duchamp. Und Sie?
Ich habe große Sympathie für seine Auffassung. Und doch verbrachte Duchamp viel Zeit damit, den Leuten zu sagen, was es ist, viel mehr als andere Künstler. Das ist ein weiterer Dreh von Ironie. Sie können nichts, was er sagt, nur wörtlich nehmen. Denken Sie an das „große Glas“. Er stellte es hin, und keiner wußte, was es war. Später veröffentlichte er seine Notizen dazu, und alle wußten, was gemeint war, oder?!
Es war so klar, daß unzählige Kunstdissertationen darüber erschienen. Kunstkritiker haben auch mit Ihnen große Probleme.
Vielleicht.
Gut, wo aber wäre der Punkt, die Fragen zu beenden und selber weiterzudenken?
Ich versuche nur zu erklären, inwieweit der Künstler Kontrolle über die Rezeption ausüben kann. Es gibt einige Formen, das zu tun, und mehr, es offenzulassen. Es gibt keinen Standard dafür. Mein Werk ist sehr offen. Ich habe eine Menge selbst darüber geschrieben, aber das schließt die Interpretation nicht ab. Es soll auch offen sein. Die Art von Enge: okay, ich hab's, interessiert mich nicht. Ein Werk, das nicht in mehrfacher Weise Metaphern erzeugt, erscheint mir nicht interessant. Duchamp gab seine Notizen heraus, aber es beendete nichts. Das ist Kunst, die ich mag, eine Arbeit mit vielen Ebenen: theoretisch, körperlich, linguistisch, bildlich.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Ich werde als nächstes in Bordeaux eine große Installation mit Dampf machen, und dann gehe ich nach Italien in eine Gießerei und werde mit verbundenen Augen mit Bronze arbeiten. Das Gespräch führte Hajo Schiff
„Robert Morris: The Mind / Body Problem“. Bis 7.5., Nördliche Deichtorhalle Hamburg. 326seitiges US-Katalog-Buch: 58 Mark. Heft mit deutscher Übersetzung der Essays: 15 Mark.
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