: Wenn Kraken sich ärgern, werden sie weiß
■ Von der Szene für die Szene: Das Videoprojekt AK Kraak aus der Ostberliner Hausbesetzerszene bietet seit fünf Jahren eine bunte Mischung aus Politik und Spaß
„Farbkunde: Wenn Kraken sich ärgern, werden sie weiß. Bei einem Angriff dagegen färben sie sich rot.“ Der junge Mann mit Wollschal und Mütze, der diese interessanten Details aus dem Leben der Tintenfische vor laufender Kamera berichtet, ist kein Schüler von Heinz Sielmann. Und mit Kraken hat er eigentlich auch nur im weiteren Sinne zu tun. Manuel ist einer der acht MacherInnen von AK Kraak, der Videosendung der Ostberliner Hausbesetzerszene.
Im Sommer 1990 wollte er mit einigen anderen Leuten einen Dokumentarfilm über die Hausbesetzungen in Ostberlin drehen. „Wir haben dabei auch die Räumung in der Oranienburger 86 gefilmt. Das war so aktuell, daß wir das sofort zeigen wollten“, erzählt er. So entstand die erste AK-Kraak-Sendung.
Der Anspruch war, in der Euphorie über die gute Resonanz auf das erste Video, unrealistisch hoch. „Alle zwei bis vier Wochen wollten wir eine neue Sendung machen“, erinnert sich Manuel. Die hochtrabenden Pläne ließen sich nicht verwirklichen. Aber immerhin: Morgen hat die 12. AK-Kraak-Sendung Premiere.
„Es wird oft gesagt, Bewegungsvideos sind tot, sobald die Bewegung stirbt. Wir haben gezeigt, daß das nicht stimmt“, lautet die selbstbewußte Bilanz nach fast fünfjähriger Arbeit. Die AK-Kraak-Leute merkten nach einem Jahr, daß es nicht genug ist, nur Demos, Räumungen und Neubesetzungen zu filmen, und weiteten die Themenwahl aus. So werden in der neuen Sendung neben einem Bericht über den räumungsbedrohten Abenteuerspielplatz in der Kreutzigerstraße auch Beiträge über eine Männer-Peepshow in der Auguststraße, über den Widerstand gegen den Castor-Transport im Wendland und den EU-Kongreß in Essen zu sehen sein.
„Wir haben unser Konzept auch dahin ausgeweitet, daß andere Leute Beiträge bei uns abgeben können und wir nur gucken, ob die thematisch und vom Stil her bei uns reinpassen“, erzählt Iris. Dabei passiert auch mal ein Fehlgriff, so zum Beispiel bei einem Beitrag über die deutsch-polnische Grenze in Frankfurt (Oder), der für das Fernsehen produziert worden war. „Wir legen viel Wert auf filmische Experimente, deshalb paßte der Beitrag überhaupt nicht bei uns rein“, erinnert sich Iris.
Die Möglichkeit zum Experimentieren sehen die Kraak-MacherInnen, die teilweise selber Beiträge für das Fernsehen produziert haben, als einen der größten Vorteile. „Außerdem definieren wir uns als Sendung von der Szene für die Szene. Da muß man viele Sachen nicht mehr erklären, die in einem kommerziellen Fernsehbeitrag viel ausführlicher dargestellt werden müssen“, erklärt Manuel die inhaltlichen Unterschiede.
Daß ihre Sendungen nur in Szene-Läden wie dem SO 36, dem Zosch und dem KOB gezeigt werden, stört die KraakerInnen nicht. Lieber 50 Leute bewußt ansprechen als Tausende von abhängenden Fernsehzuschauern, lautet ihre Devise. „Wir wollen, soweit die Themen es zulassen, Spaß vermitteln. Das schönste ist für uns, wenn die Leute durch eine Sendung Lust bekommen, mal wieder eine Aktion zu machen“, sagt Manuel. „Agitainment“ nennt er das.
Die Sendung ist in der autonomen Szene inzwischen etabliert. Sprüche wie „Kameramann Arschloch“ bekommen die Kraak- Leute beim Filmen nicht mehr zu hören. „Auf der Demo am 3. Oktober 1991 wurde über den Lautsprecherwagen durchgesagt, daß wir beim Filmen nicht behindert werden sollen. Da sind wir von den professionellen Fernsehteams ziemlich neidisch beäugt worden“, erzählt Iris.
Daß Politik nicht immer bierernst und knallhart-kämpferisch sein muß, kann man auch in der neuen AK-Kraak-Sendung sehen. Und neben der Farbkunde lernt man noch einiges mehr aus dem Leben der Kraken. Gesa Schulz
Erste Sendetermine: 16. März, 22 Uhr, in der Köpenicker Straße 137; 19. März, 21 Uhr, im Ex, Gneisenaustraße 2a. Kontakt über den Klub JoJo, Torstraße 216, Telefon 282 37 27
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