Rakete verfehlte knapp ein russisches AKW

■ Öffentliche Proteste gegen Militär- und Atomanlagen in Nowo-Woronesch

Berlin/Moskau (taz/AP) – Drei Atomreaktoren liefern in Nowo Woronesch heute noch Strom. Zwei ältere sind 1988 und 1990 aus Sicherheitsgründen stillgelegt worden. Am vergangenen Freitag hätte die eigene Armee beinahe die gesamte Atomanlage in die Luft gejagt. Wie die Nachrichtenagentur ITAR-TASS berichtet, hat ein russisches Kampfflugzeug auf einem Übungsflug eine Rakete abgefeuert, die nur 4,5 Kilometer neben dem Atomzentrum von Nowo Woronesch einschlug.

Soweit bekannt, versagte die Zielautomatik, wäre die Rakete nur um weitere zwei Grad vom vorprogrammierten Kurs abgewichen, wäre sie mitten im Atomkraftwerk explodiert. Die Folgen wären verheerend. Wie alle russischen Atomkraftwerke besitzen auch die Reaktoren von Nowo Woronesch keine Sicherheitshüllen. Es handelt sich um zwei kleinere Reaktoren des Typs WWER-440 aus den Jahren 1970 und 1971 sowie einen neueren Großreaktor vom Typ WWER-100, der 1980 ans Netz gegangen ist. Auch ein schlichtes Artilleriegeschoß könnte die Behälter um den radioaktiven Kern zerstören, der schlimmste aller denkbaren Atomunfälle, die Kernschmelze, wäre dann nicht mehr aufzuhalten. Der Gebeitsgouverneur Alexander Kowaljow protestierte am Montag im Fernsehen nicht nur gegen diesen einen Vorfall. Die russische Armee nutzt seit Jahren den Landstreifen zwischen der Drei-Millionen-Stadt Woronesch und dem Atomkraftwerk als Übungsgelände für Raketen und Bombenabwürfe. Nur „Leute ohne jeglichen Verstand“ könnten solche Übungen zulassen, schimpft Kowaljow. Seit Jahren habe die Gebietsverwaltung die Militärs „darum gebeten, den Raketenschießplatz zu verlegen“. Die Antwort sei jedoch „immer negativ“ gewesen. Das russische Atoministerium läßt sich von der gefährlichen Nachbarschft der Armee jedoch nicht beeindrucken. Der Atompark von Nowo Woronesch soll modernisiert werden. Nach den bisherigen Plänen bleiben die drei heute noch betriebenen Blöcke nur bis zum Jahr 2010 am Netz. Sie sollen dann durch zwei neue Großreaktoren von je 1.000 Megawatt Leistung ersetzt werden. nh