piwik no script img

Berliner Rot-Kreuz-Präsident unter Druck

■ Bundestagsabgeordnete des Bündnis 90/Die Grünen und der PDS fordern Rücktritt Schlegelbergers wegen seiner Tätigkeit als Wehrmachtsrichter

Berlin (taz) – Hartwig Schlegelberger, Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband und Präsident des Berliner Roten Kreuzes, schaut auf eine steile Politkarriere zurück. Der heute 81jährige war seit 1961 für die CDU Finanz-, dann Innenminister in Schleswig-Holstein. Nach 1971 widmete er sich dem Vorstandsposten der Landesbank und seiner Liebe zur humanitären Arbeit im Roten Kreuz. Zwanzig Jahre stand er dem schleswig-holsteinischen Landesverband vor, bevor er 1991 als Krisenhelfer nach Berlin geholt wurde, um die Rotkreuzler der Hauptstadt vor dem Bankrott zu retten.

Worüber Schlegelberger nicht gerne spricht: seine Vergangenheit vor 1945. Als Marinestabsrichter am Kriegsgericht Berlin war er an der Verurteilung von „Wehrkraftzersetzern“ und „Fahnenflüchtigen“ beteiligt. Dabei war er als Richter und Vertreter der Anklage tätig. Mindestens sechsmal beantragte er die Todesstrafe, zweimal leitete er Hinrichtungen.

Wegen dieser Richtertätigkeit steht Schlegelberger auch innerhalb des Roten Kreuzes seit Wochen unter Druck. Am Samstag forderte der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Volker Beck, den Rücktritt Schlegelbergers. Zudem will er, daß der ehemalige Marinerichter sein Bundesverdienstkreuz zurückgibt. Der Bundestagsabgeordnete Gerhard Zwerenz (PDS) geht sogar noch weiter: das gesamte Präsidium des Berliner Roten Kreuzes solle ausgewechselt werden, wenn es einen Mann wie Schlegelberger schütze. In dem Werdegang von Schlegelberger sieht Zwerenz, selber Deserteur im Zweiten Weltkrieg, eine „typische deutsch-symbolische Kontinuität, die von der damaligen Zeit in die heutige herüberreicht“.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU) hingegen hat sich vor Schlegelberger gestellt. „Im Hinblick auf das jahrzehntelange Wirken für das Deutsche Rote Kreuz“ sieht Diepgen „keine Veranlassung, die getroffenen Entscheidungen des Berliner Roten Kreuzes zu kritisieren.“ Das Präsidium des Berliner Landesverbandes hatte Schlegelberger „einhellig und uneingeschränkt“ das Vertrauen ausgesprochen, kurz nachdem neue Aktenfunde die Verstrickungen Schlegelbergers in die Kriegsjustiz verdeutlichten.

Mit der „Uneingeschränktheit“ aber war es nicht weit her. Klaus Burkhard, eines von fünf Präsidiumsmitgliedern, trat aus Protest bereits letzte Woche von seinem Amt zurück. Und auch Elke Strangfeld, ebenfalls im Präsidium, fragte am Donnerstag in einer Erklärung, ob eine „Tätigkeit für ein Marinegericht ... mit einer Präsidentschaft im Landesverband Berlin des DRK zu vereinbaren ist.“

Der Betriebsrat des Berliner Roten Kreuzes mahnt schon seit Wochen den Rücktritt des Präsidenten an, das gleiche gilt für die sozialpolitischen Sprecherinnnen der SPD, der PDS und des Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

Die Vorwürfe gegen den Sohn von Franz Schlegelberger, dem Reichsjustizminister von 1941/42, sind nicht ganz neu. Bereits 1963 gefährdeten die Vorwürfe Hartwig Schlegelbergers Bestellung zum Minister. Doch der ermittelnde Staatsanwalt, Ernst Thamm, sah keinen Grund für eine Anklageerhebung. Thamm hatte während des Zweiten Weltkrieges am Kieler Sondergericht selber mehrfach die Todesstrafe beantragt. Auch eine zweite staatsanwaltschaftliche Untersuchung im Jahr 1989 blieb folgenlos. Der ermittelnde Staatsanwalt war jahrelang für Thamms Abteilung tätig. Schlegelberger rechtfertigte sich immer wieder mit dem Argument, juristisch sei ihm nichts nachzuweisen.

Aus drei bisher unveröffentlichten Prozeßakten aus den letzten zwei Kriegsjahren geht hervor, daß Schlegelberger an drastischen Urteilen gegen Soldaten mitwirkte. In drei Verfahren gegen „Wehrkraftzersetzer“ und „Fahnenflüchtige“ war Schlegelberger Vertreter der Anklage. Jedesmal wurden die Angeklagten wegen geringer Vergehen zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. So soll beispielsweise der Kraftfahrobergefreite Walrat Nitsche in einer Berliner Kneipe geäußert haben, die Ermordung von „Tausenden von Juden“ sei ein Fehler gewesen. Er bekam sechseinhalb Jahre. Zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilte das Kriegsgericht den Matrosen Heinz Domke. Der Lungenkranke hatte sich während seines Heimaturlaubes über die Menge der Essensration beschwert und kritisch von der Situation in seiner Einheit gesprochen.

Sieben weitere Fälle sind dokumentiert. Im Bundesarchiv in Kornelimünster sollen nach Angaben Schlegelbergers mehr als 140 weitere Prozeßakten lagern. Christoph Dowe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen