: Kaputt - und doch gebraucht
■ Stahlwerke Bremen, Arbeitssenatorin und LVA starten Modell: Angeschlagene und Schwerbehinderte sollen im Werk Arbeitsplätze finden
Gestern war ein historischer Tag bei den Stahlwerken Bremen (ehemals Klöckner). Gestern gaben der Arbeitsdirektor der Hütte, die Betriebskrankenkasse, die Arbeitssenatorin und die Landesversicherungsanstalt Oldenburg/Bremen den Startschuß für ein in der Republik bislang einmaliges Projekt. Alle PartnerInnen wollen jetzt an einem Strang ziehen, wenn es um die Eingliederung von Schwerbehinderten in den Arbeitsprozeß geht, und darunter fallen auch diejenigen, die nach langer körperlich schwerer Arbeit ihren angestammten Arbeitsplatz verlassen müssen. Die sollen nun nicht auf der Straße oder in externen Umschulungsmaßnahmen landen, sondern im Betrieb weiterqualifiziert und gehalten werden. Dafür wurde gestern eine eigene gemeinnützige „Gesellschaft für Gesundheit und berufliche Rehabilitation gegründet“ (GR).
Früher mußten MitarbeiterInnen erst entlassen werden, ehe sie eine staatlich finanzierte Umschulung machen konnten. Doch die Spruchpraxis des Bundesarbeitsgerichts hat sich verändert. Jetzt kann der Arbeitsvertrag – zum Beispiel mit der Hütte – ruhen, mit der GR wird ein zeitlich befristeter Vertrag für die Zeit der Umschulung geschlossen, das Nettogehalt während dieser Zeit zahlt die LVA. Nach der Umschulung tritt der alte Arbeitsvertrag wieder in Kraft. Ein Novum, Bremen liegt vorn.
Die Hütte kennt das Problem schon seit langer Zeit. „Kaputtmalocht“ – was dann, das war die große Frage. Der große Konkurrenz- und Rationalisierungsdruck legt eine Lösung nahe: Entlassung, Abschiebung in jahrelange Umschulungsmaßnahmen, von der öffentlichen Hand finanziert, und oft genug stand am Ende der zweiten Ausbildung wieder die Arbeitslosigkeit. „Im Land Bremen hat jede Vierzehnte einen Schwerbehindertenausweis. Alleine 1.500 sind arbeitslos. Mit steigender Tendenz“, sagte gestern Arbeitssenatorin Sabine Uhl. Der Trick: Der Schwerbehinderte werde in eine Abteilung versetzt, die zur Schließung ansteht. Das passiert dann auch, und schon stehen die Leute auf der Straße – Sonderstatus hin oder her. Das soll nun anders werden.
Schon seit 1988 bemüht sich die Hütte, Arbeitsplätze für die MitarbeiterInnen mit körperlichen Handicaps einzurichten. Nicht ganz so einfach: „Wenn ein Ingenieur von der Universität kommt, dann hat er von diesen besonderen Problemen noch nie etwas gehört“, sagte gestern Stahlwerke-Arbeitsdirektor Hagen Breitinger. Diese ganz spezielle Arbeit soll nun von der GR übernommen werden. Die Philosophie: Individuelle Probleme und Behinderungen erfordern individuelle Lösungen. Rund 80 StahlwerkerInnen sind zur Zeit betroffen. Für die sollen nun persönlich zugeschnitte Arbeitsplätze geschaffen werden, und zwar nicht in einem Sonderbereiech, sondern im ganz normalen Betrieb.
Beispiel: FSÜ-Arbeitsplätze. FSÜ steht für Fahren, Steuern, Überwachen. So ein Arbeitsplatz ist beispielsweise in einem Steuerstand an der Warmbreitbandstraße, dem Herzstück der Hütte. Der war bislang für RollstuhlfahrerInnen noch nichtmal zu erreichen, und wer nicht beide Arme und Hände hundertprozentig bewegen konnte, der konnte diese Arbeit sowieso vergessen. Das wird jetzt anders werden. In Kooperation mit dem Zentrum für Sozialpolitik der Bremer Uni wurde ein Modell entwickelt, diesen Arbeitsplatz behindertenfreundlich auszubauen: Rampen und einen speziellen Sanitärcontainer für Menschen im Rollstuhl, und dazu ein Schaltpult, das auch mit einer Hand bedient werden kann; höhenverstellbar, für alle Bedürfnisse.
Genau diese praktischen Umsetzungen soll es jetzt mit der GR massenhaft geben, und zwar in enger Kooperation mit den Beschäftigten selbst. Die kennen die Arbeitsabläufe am besten, und außerdem erspart die frühzeitige Kommunikation teure Nachbesserungen, wenn die Lösungen vom grünen Tisch in der Praxis nichts taugen.
Eine Idee, die nur GewinnerInnen hat: Die Schwerbehinderten sowieso, aber auch das Unternehmen. Das kann nämlich auf qualifizierte Arbeitskräfte bauen, die den Betrieb kennen. Und die Landesversicherungsanstalt spart Geld. Üblicherweise laufen die von der LVA finanzierten Umschulungsmaßnahmen zwei, drei Jahre – mit ungewißem Ausgang. Mit der GR sollen die auf ein Jahr verkürzt werden, Weiterbeschäftigung garantiert.Nun hoffen die InitiatorInnen, daß sich weitere Unternehmen anschließen. J.G.
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